Der Gendereffekt bei Transfusionen in der Herzchirurgie

Räsänen J et al. Sex Differences in Red Blood Cell Transfusions and 30-Day Mortality in Cardiac Surgery: A Single Center Observational Study. J Clin Med. 2023;12(24):7674. Published 2023 Dec 14. doi:10.3390/jcm12247674

Frauen haben aufgrund ihres geringeren Blutvolumens ein höheres Risiko, transfundiert zu werden. Wie stark dieser Effekt ist und ob er sich auch auf das Outcome auswirkt, ist bislang nicht bekannt.

In der Herzchirurgie ist eine dosisabhängige Steigerung von Mortalität und Morbidität mit dem Transfusionsausmaß bekannt und nachgewiesen, zuletzt mit einer 4fach-erhöhten Frühsterblichkeit und einer verdoppelten 6J-Mortalität, vor allem nach Klappenchirurgie (Woldendorp  et al. Gen Thorac Cardiovasc Surg 2023 Jun;71(6):323-330). Die Wahrscheinlichkeit, dass das weibliche Geschlecht überrepräsentativ davon betroffen ist, ist groß, aber bislang nicht nachgewiesen.

Eine Studie zur geschlechtsspezifischen Prognose nach Herzchirurgie hat nun anhand einer retrospektiven Untersuchung eines universitären Herzzentrums in Kuopio, Finnland sich dieser Fragestellung verschrieben. Zwischen 2012 und 2016 wurden gut 1500 konsekutive Eingriffe nach Bypass oder/und Klappenchirurgie analysiert. Das primäre Ziel war die perioperative Transfusionsrate innerhalb von 5 Tagen (bei einem Transfusionstrigger Hämoglobinkonzentrataion < 8,0 g/dl). Sekundäres Studienziel war das Versterben innerhalb von 30 Tagen nach der Operation.

Erwartungsgemäß bestand das Untersuchtungskollektiv zu 75% aus Männern und die Hälfte aller Eingriffe waren isolierte koronare Bypasschirurgie; bei den Frauen waren es häufiger Eingriffe an der Aortenklappe. Die Frauen im Kollektiv unterschieden sich in zahlreichen Kriterien von den Männern- Frauen waren älter, schwerer herzinsuffizient (NYHA-Klasse), übergewichtiger, mit geringerer glomerulärer Filtrationsrate, häufiger Nichtraucher und postoperativ auch häufiger anämisch  (in den WHO Grenzen der Anämie-Definition).

Während nur 33% der Männer transfundiert wurden, erhielten Frauen zu 64% Erythrozytenkonzentrate (OR 0.67, 95% CI 2.90–4.66, p < 0.001). Bei jeder Eingriffsart erhielten Frauen mehr Transfusionen als Männer mit dem gleichen EIngriff. Egal wieviele Konserven verabreicht wurden, Frauen waren in allen Kategorien 1-2 Ek, 3-6 EK, >6 Eks überrepräsentiert (Abbildung auf dieser Seite).

Die 30 Tage-Sterblichkeit war bei Frauen höher (2.5% vs. 0.9%, p = 0.018). Von den innerhalb von 30 Tagen verstorbenen Patienten beiden Geschlechts hatte 88% eine Transfusion erhalten (OR 6.16 (95% CI 1.66–22.86, p = 0.007). Die Vorhersage-Wahrscheinlichkeit zu Versterben stieg bei Frauen mit der Anzahl der notwendigen Konserven exponentieller an als bei Männern (Abbildung auf der vorigen Seite). 

Anhand dieser Daten ist die Anwendung von Erythrozytenkonzentraten anhand desselben Transfusionstriggers für beide Geschlechter zu hinterfragen. Die Hämoglobinkonzentration ist nur bei Normovolämie ein indirektes Maß der Sauerstofftransportkapazität. Wenn die Anämie bei Frauen anderen Definitionsgrenzen hat (aufgrund empirischer Daten), warum transfundieren wir dann bei identischen Schwellenwerten für Mann wie Frau? Das führt unweigerlich zur Übertransfusion des weiblichen Geschlechts (Stammers et al. Gender and intraoperative blood transfusion: Analysis of 54,122 non-reoperative coronary revascularization procedures. Perfusion 2019, 34, 236–245)(Anmerkung: Die von der IAKH propagierte Berechnung des präoperativen Erythrozytenvolumens ist ein Weg in die richtige Richtung). Das sogenannte "Obesitas-Paradox" besagt, dass die übergewichtigen Patienten in der Herzchirurgie ein geringeres Risiko haben transfundiert zu werden als Normalgewichtige. Auch dieser Zusammenhang ist bei Frauen ausgeprägter als bei Männern.

Ob das bekannte und unzweifelhaft erwiesene schlechtere Outcome von weiblichen Patienten in der Herzchirurgie lediglich oder hauptsächlich auf die erhöhte Transfusionsrate zurückzuführen ist, kann aus diesen Daten nicht geschlossen werden. Aber diese Studie ist ein starker Hinweis für die Notwendigkeit einer kontrollierten Studie zum Wesen der geschlechterspezifischen Prognose in der Herzchirurgie und vor allem zu grundlegenden klinischen Einschätzungen von Geschlechtsunterschieden bei Blutarmut und Transfusionstriggern.

Pubmed

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Für Sie gelesen von Th. Frietsch

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