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Autor Thema: Pragmatische Anämie Heuristik zu verrückt?
simon13althaus
ist neu hier
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ID # 496


  Erstellt am 07. Oktober 2023 19:32 (#1)  |  Zitat Zitat   PN PN   E-Mail E-Mail
Liebe Kolleg*Innen,

In der präoperativen Anämiediagnostik bewegen wir uns im Spannungsfeld zwischen Geschwindigkeit und Sorgfalt.
Einfach, zumindest vermeintlich, ist es im akuten Notfall (?keine Sorgfalt möglich?) sowie bei hochelektiven Eingriffen (?keine Geschwindigkeit nötig?).

Schwierig sind die zeitlich drängenden Fälle (Tumorchirurgie, Frakturen). Hier fehlt uns häufig die Zeit, zu einer soliden Diagnose der Anämieursache zu kommen und dann die entsprechende Therapie einzuleiten.

Ist es nicht zielführender, in solchen Fällen eine verständliche ?Anämie-Heuristik? anstelle eines hämatoonkologischen Anämie-Algorithmus anzuwenden? Also mit lückenhaften Informationen die wahrscheinlichste Ursache zu ?raten? und zu behandeln mit Konzentration darauf, unseren Patienten keinen zusätzlichen Schaden zuzufügen.

In diesem Sinne bestimmen wir in dringlichen Fällen präoperativ kein Ferritin mehr, kein CRP, kein Krea und keinen sTFR o.ä. um die Anämieursache einzugrenzen. Bei makrozytären Anämien bestimmen wir Vitamin B12 und Folsäure und geben beides ggf. auch blind, je nach Zeitdruck. Bei mikrozytärer Anämie bestimmen wir die Transferrinsättigung (T-SAT) sowie den Retikulozytenproduktionsindex (RPI). Dann geben wir bei niedriger T-SAT i.v. Eisen und bei niedrigem RPI ggf. zusätzlich 20.000 I.E. Epo. All das so früh wie möglich präoperativ, aber ggf. auch postoperativ.
Damit ?erwischen? wir die häufige Eisenmangelanämie, die Anemia of chronic disease sowie die undifferenzierte Anämie des Alters (mit oder ohne Nierenschädigung). Bei nicht diagnostiziertem MDS machen wir nichts falsch und durch die T-SAT schließen wir aus, bei Hämochromatose oder Thalassämie zu schaden.

Wenn es gut läuft, erhöhen wir aber den Hb so rechtzeitig, dass eine Transfusion vermieden werden kann.

Eine ausführliche Anämie-Diagnostik erfolgt später, ggf. durch den Hausarzt.

Dieser Ansatz ist nicht sonderlich akademisch, erscheint mir aber pragmatisch und sicher. Natürlich finde ich dazu keine Publikationen, die mir Sicherheit geben. Übersehe ich etwas? Kann mir jemand einen relevanten Nachteil dieses heuristischen Vorgehens nennen? Vielleicht geben wir hi und da zuviel Eisen oder Epo. Nachteil aber rein finanziell. Dafür haben wir einen Algorithmus, der so verständlich ist, dass er eine hohe Compliance erfährt.

Freue mich über Kritik, Anregungen, Hinweise!
Vielen Dank und viele Grüße

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Dr. med. Simon Althaus, DESA<br />Kreiskliniken Reutlingen

Beiträge: 2 | Mitglied seit: April 2021 | IP-Adresse: gespeichert
tfrietsch
Supermoderator
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ID # 24


  Erstellt am 16. Oktober 2025 14:54 (#2)  |  Zitat Zitat   PN PN   E-Mail E-Mail
Sie haben recht, man kann es so machen. Vielleicht muss man es in diesen Zeiten auch so machen, wenn man nicht die Möglichkeiten einer Klinik der Maximalversorgung hat.
Die Abarbeitung von allzu komplizierten Algorithmen ist vermeidbar. Einfache Algorithmen bewähren sich aufgrund der erhöhten Nutzung besser, auch wenn man in Einzelfällen wenn man im Zweifel ohne Erfolg therapieren und die Kosten in Kauf nehmen muss.
Die Akuttherapie mit IV Eisen, Vit. B12 und Folsäure für die Herzchirurgie am Vortag der Operation wäre so eine publizierte Version für den Akutfall (siehe Spahn et al. 2019 Lancet; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/31036337/).

Allerdings sind wir nicht mehr in Zeiten, in denen man ein solches Vorgehen des freizügigen Umgangs mit Ressourcen eines sozialisierten Gesundheitssystems guten Gewissens betreiben kann, wenn man die Möglichkeit zur zielgerichteten Diagnostik und Therapie hat. Man kann trefflich darüber streiten, ob das mit dem von Ihnen vorgeschlagenen Vorgehen tatsächlich so ist, aber man wird den einen oder anderen Patienten zu Unrecht therapieren. Solange bei ihrem System die Anämieabklärung beim Hausarzt stattfindet, ist alles in Ordnung. Der Hausarzt hat bislang keine Anreize im Kassensystem, milde und moderate Anämien zu differenzieren. Außerdem sind die langen Wartezeiten bei Nephro, Endokrino- Hämato- und Onkologen auch postoperativ nicht prickelnd. Es bedarf meiner Erfahrung nach ein etabliertes Diagnostik und Therapienetzwerk, um die Patienten sorgfältig zu betreuen.

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Prof Dr. med. Thomas Frietsch
Generalsekretär der Interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft
für Klinische Hämotherapie IAKH e.V.
Anästhesiologie und Intensivmedizin
Universitätsmedizin Mannheim

Beiträge: 365 | Mitglied seit: Dezember 2003 | IP-Adresse: gespeichert



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