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Autor Thema: Liberale Transfusionsindikation
tfrietsch
Supermoderator
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ID # 24


  Erstellt am 15. Mai 2017 07:39 (#1)  |  Zitat Zitat   PN PN   E-Mail E-Mail
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

sehr gerne möchte ich Ihre Meinungen und Vorgehensweisen für folgenden Fall erfahren, der Ihnen aus Ihrer eigenen Praxis sicherlich bekannt vorkommen wird:
Patientin, 81 Jahre zur Hüft-TEP, bekannte mikrozytäre Anämie bei Angiodysplasien im Gastrointestinaltrakt erhält am präOP-Tag bei einem Hb von 9,7 mg/dl, Ferritin <6, Transferrin 3,59 und ansonsten Wohlbefinden ein EK "damit man sie morgen operiert werden kann".
Ganz abgesehen von der mehr als fragwürdigen Indikation ist weder die schriftliche Anordnung in der Akte und die Indikation zur Transfusion noch der Transfusionserfolg in irgendeiner Form dokumentiert. Der Chefarzt der Abteilung und verantwortlich für die Anordnung setzt sich regelmäßig über die Leitlinien hinweg und obwohl wir in Sachen PBM relativ up to date sind und seitens der Anästhesie stets unsere Unterstützung hinsichtlich Anämietherapie, Eisengabe und Transfusionsindikationen anbieten.

Die häufigen Hinweise seitens der Anästhesie, dass im Falle einer schwerwiegenden TF-Reaktion angesichts der fragwürdigen Indikation und der mehr als schlechten Dokumentation kein Gutachter dieser Welt den Transfundierenden exkulpieren wird, verhallen im Nichts.

Sollte dies in der Transfusionskommission auf den Tisch kommen (anonymisiert)?
Muss der TV hier tätig werden?

Ich freue mich auf Ihre Kommentare!

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Dr. Thomas Wiederrecht, DESA
Oberarzt Anästhesie
Transfusionsbeauftragter
Alb-Donau-Klinikum Blaubeuren

Beiträge: 330 | Mitglied seit: Dezember 2003 | IP-Adresse: gespeichert
tfrietsch
Supermoderator
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ID # 24


  Erstellt am 15. Mai 2017 08:07 (#2)  |  Zitat Zitat   PN PN   E-Mail E-Mail
Lieber Herr Widerrecht,
wir haben den Fall in unser Fehlerregister übernommen und dort mit der Nummer 117-IAKH-2016 analysiert (siehe unter Fehlerregister/Archiv/2016...).

Das Problem sehen wir wie folgt:
•Eine prophylaktische Transfusion oder die präoperative Anhebung des Hämoglobinwerts bei dieser ausgeprägteren Anämie auf dem Boden einer chronischen Schleimhautblutung und wohl altersbedingten ausgeprägten Eisenmangelanämie mit extrem tiefen Ferritinwert verbessert das Outcome der Operation nicht. Da eine Hüft-Tep mit einem mittleren Blutverlust von 600-800ml Blutverlust intraoperativ und nochmalig die gleiche Menge postoperativ bei einer alten Dame mit vermutlich gringem Blutvolumen sicher zur Transfusionspflichtigkeit, einem verschlechterten Outcome und höherer Komplikationsrate führen wird, sollte die Patientin von seiten der Chirurgie und/oder der Anästhesie über das erhöhte Risiko aufgeklärt werden. Da die Operation elektiv ist, wäre eine präoperative Eisentherapie vorzugsweise intravenös appliziert die Methode der Wahl.
•Die Dokumentation der Transfusion, der Indikation etc. ist Vorschrift gemäß Richtlinien Hämotherapie in der aktuell gültigen Fassung. Diese gelten ebenso wie die Querschnittsleitlinien als untergesetzliche Normen, von denen nur in begründeten Fällen abgewichen werden kann. Wenn der Chefarzt der operativen Abteilung dies ignoriert, schlagen wir üblicherweise vor (s.u.), dass sollten zunächst nach den Gründen der ablehnenden Haltung geforscht werden, dann informierende (Fortbildung innerhalb und außerhalb des Hauses für Ihn und seine Mitarbeiter auf Wunsch der GF) und motivierende Maßnahmen (Gespräch mit dem TV, Einladung zur Transfusionskommissionssitzung, Bestellung zum TV oder TB, Peer Review Hämotherapie, etc.) unternommen werden. Da aber letztendlich die Indikationsstellung zur Operation dem Chirurgen obliegt, bleibt von Seiten der Anästhesie lediglich die Patienten- und Angehörigeninformation über das erhöhte perioperative Risiko als auch das breits angebotene PBM-Programm
•Die Meldung an sich spiegelt ein hohes Maß an Frustration und Kommunikationswiderstände zwischen Anästhesie und Chirurgie wider. Die Beseitigung dieser sollte mit interdisziplinären und interpersönlichen Konfliktlösungansätzen versucht werden (s.u).

Als Vermeidungsmaßnahmen in Zukunft empfehlen wirst Verbesserung von :
Prozessqualität:
•Fortbildungsserie für die Chirurgen und Anästhesisten- Hämotherapie- praktische Transfusionsmedizin, Patient Blood Management (PBM), Diagnostik und Therapie der präoperativen Anämie.
•Eintägige Weiterbildungshospitation für den Chefarzt in ein anderes Krankenhaus mit funktionierender Anästhesie/Chirurgieinteraktion
•Einweisung alle Ärzte und regelmäßige Updates in das geschaffene PBM-Programm
•Interdisziplinäre Fortbildung zur Dringlichkeit einer Bluttransfusion für Anästhesisten, Notärzte und Notaufnahmeteam, Pflege und Laborpersonal, Bedeutung der prophylaktischen Blutprodukteverordnung
•Überprüfung der Aktivitäten und Funktionen der TV und TB durch den QB
•Meldung an die Transfusionskommission


Strukturqualität:
•Kommunikationstraining für Chirurgen und Anästhesisten
•Gemeinsame Veranstaltungen und Freizeitunternehmungen
•Für alle Fachrichtungen sollte auf Betreiben der GF ein Ausbildungscurriculum für Assistenzärzte sowie ein Fortbildungskalender für Fach/Ober/Chefärzte in speziellen und allgemeingültigen Belangen wie die Hämotherapie, eigener Gesundheitsschutz, Hygienem etc. angeregt werden. Die Dokumentation der Teilnahme an diesen Veranstaltungen sollte durch die QM-Abteilung erfolgen.
•Einladung der unkooperativen Chefärzte in die Transfusionskommissionssitzung (TV)
•Etablierung einer Fehlerkultur mit Hilfe eines CIRS, interdisziplinäre Fallbesprechung und/oder Mortalitäs- und Morbiditätskonferenzen bei dieser Patientin und ähnlichen Fällen. (GF)
•Statistisch retrospektive Überprüfung der Komplikationsrate, Verweil- und Intensivstationsdauer, Beatmungpflichtigkeit und Mortalität und regelmäßige Info an die Chefärztekommission (IT-Abteilung, Controlling als Auftrag der GF)
•Bestellung des Chefarztes zum QB oder TV
•Wunsch nach einem Peer Review Hämotherapie an die LÄK
•Coaching und Konfliktmanagementstraining für den Chefarzt

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Prof Dr. med. Thomas Frietsch
1. Vorsitzender der Interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft
für Klinische Hämotherapie IAKH e.V.
Anästhesiologie und Intensivmedizin
Universitätsmedizin Mannheim

Beiträge: 330 | Mitglied seit: Dezember 2003 | IP-Adresse: gespeichert



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