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Autor Thema: PBM bei Tumor- Patienten
Krautterph
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ID # 455


  Erstellt am 17. November 2018 17:01 (#1)  |  Zitat Zitat   PN PN   E-Mail E-Mail
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
ich beschäftige mich mit der Implementierung eines PBM in unserer Klinik. Hierbei stoße ich auf Schwierigkeiten in der Implementierung bei TU OPs. Hauptproblem stellt die kurze Zeitspanne (Vorgaben in den Qualitätsmerkmalen der Zentrums Chirurgie, Patienten Wunsch) zwischen Diagnosenstellung und operativer Maßnahme bei gleichzeitiger Anämie dar.
Ich würde mich über Rückmeldungen freuen.
Mit freundlichen Grüßen Philipp Krautter OA Anästhesie, Oberschwaben Klinik Ravensburg

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Philipp Krautter
Facharzt Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin
Oberschwaben Klinik, St Elisabethen Klinikum Ravensburg

Beiträge: 4 | Mitglied seit: September 2018 | IP-Adresse: gespeichert
tfrietsch
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ID # 24


  Erstellt am 19. November 2018 11:04 (#2)  |  Zitat Zitat   PN PN   E-Mail E-Mail
Sehr geehrter Herr Kollege,
vielen Dank für die berechtigte und vielerorten problematische Fragestellung: Besteht aufgrund einer Tumorerkrankung eine Notwendigkeit, die präoperative Anämie als erhebliches perioperatives Risiko in Kauf zu nehmen oder ist sie überhaupt im Vorfeld der Operation so therapierbar, dass das Risiko sinkt? Oder muss aufgrund der Psyche der Patienten gleich und unverzüglich operiert werden? Ist die Therapie der Anämie überhaupt wirksam?

1)Bei dieser Frage ist zunächst zu klären, ob sich die präoperative Anämie auch in diesem Klientel negativ auf das Outcome einer Operation auswirkt. Die Evidenz dafür ist gegeben, wenn auch nicht immer und für jeden Tumor in Evidenzklasse 1a: Die meiste Evidenz liegt für das Colon-Carcinom vor: Es wird sehr häufig durch die Anämie diagnostiziert und wird häufig durch chirurgische Intervention therapiert. Eine kürzliche Meta-Analyse bei Patienten mit Colon-Carcinom (12 Studien, n=3588) identifizierte die präoperative Anämie als einen ungünstigen prognostischen Faktor für die Überlebensrate und ein verkürztes rezidivfreies Intervall (Wilson MJ et al. Surg Oncol 2017; 26: 96-104). Die präoperative Anämie ist von 20% bis zu nahezu 70% bei allen Tumorpatienten vorhanden. Eine Differentialdiagnose der Anämie ist generell (AWMF S3 Leitlinie von 2018) notwendig, um die Eisenmangeltherapie von einem Folsäuremangel oder anderem abzugrenzen. Reiner Eisenmangel ist bei colorektalem Carcinom bei nahezu der Hälfte aller Patienten (48%) zu beobachten, die damit verbundene Eisenmangelanämie ist zu 32% im Kollektiv zu beobachten (Wilson et al. Int J Colorectal Dis 2017; 32:1617-24). Nicht nur die Anämie, sondern auch ein Eisenmangel ohne Anämie wirkt sich negativ auf das Operationsergebnis aus. Beispielsweise ist die perioperative Komplikationsrate nahezu verdoppelt (Wilson et al. Int J Colorectal Dis 2017; 32:1617-24, Odds Ratio 1,94 ).
2)Weiterhin sollte klar sein, dass die präoperative Therapie mit Eisenpräparaten mit und ohne Erythropoetin effektiv ist: Die meisten Tumoren verursachen eine Tumoranämie über verschiedene Mechanismen, meist eine Kombination aus verringerter Erythropoese und erhöhtem Erythrozyten-Verlust: Nutritiv durch Eisenmangel durch den Kachexin-Einfluss Appetitlosigkeit verminderte Nahrungs- und damit Eisenaufnahme; infektionsbedingt über eine Hepcidin-vermittelte Eisenmangelresorption; Knochenmarksdepression durch räumliche Verdrängung der erythropoetischen Stammzellen (Myelofibrose, Lymphome, Plasmozytom, Osteosarkom- meist aber nur selten chirurgisch zu therapierende Tumoren) oder fehlende Stimulation (niedrige Erythropoetinspiegel bei Niereninsuffizienz im Rahmen des Malignomleidens); induziert durch eine adjuvante Chemo- und /oder Strahlentherapie; Erythrozytenverlust durch chronische Blutungen von ulzerierten Malignomgewebe (beispielsweise Colorektal-Carcinom, Sigmacarcinom, Urothelcarcinome); Bei den meisten Tumoren ist somit orale oder eine intravenöse Hochdosis-Eisentherapie mit neueren, stabileren Präparaten (Carboxymaltose oder Derisomaltose) effektiv und sicher (z.B. Birgegard et al. Pharmacotherapy 2016; 36:402-12 oder IVICA Trial: Keeler et al Br. J. Surg 2017; 104:214-21). Eine zusätzliche fachgerechte Hochdosis- Erythopoetintherapie ist ebenfalls ohne negative Auswirkungen hinsichtlich Rezidivrate und Thrombose-Embolieinzidenz. Bei Patienten mit Colon-Carcinom reduzierte die präoperative Eisentherapie sowohl Fremdblutexposition als auch die Dauer des Krankenhausaufenthalts (Calleja et al . Int J Colorectal Dis 2016; 31: 543-51).
3)Zuletzt bleibt zu klären, ob die Risikoverbesserung durch die Therapie nicht gegen die Risikoerhöhung durch die Verzögerung der kurativen Operation erhöht und damit die Rezidivgefahr erhöht wird. Im Regelfall sind Therapieintervalle von 3-4 Wochen für einen langsam bis mittelschnell wachsenden Tumor unerheblich; schließlich haben sich die meisten Malignome vor Diagnosenstellung bereits monatelang vergrößert. Im Einzelfall sind aber Tumorstadium, Ausdehnung und Zellart, Entdifferenzierungsgrad, Rezeptorenbesatz etc. ausschlaggebend, um die Erfolgsquote einer Resektion je nach Tumor festzulegen. Damit ist auch klar, dass selbst schnell und aggressiv wachsende Tumoren eine ausgeweitete Diagnostik erfordern, die einige Wochen dauert: In einer Studie zum Kolonkarzinom wurde die Anämiediagnostik sofort bei/nach der Coloskopie und der Verdachtsdiagnose -Stellung veranlasst. Weiter Untersuchungen für Histologie-Zytologie, Computertomographie und Szintigramm benötigen oftmals mindestens 2 Wochen. In diesem Zeitraum kann also auch die einfach zu diagnostizierende Anämie vorbereitend therapiert werden. Sind kürzere Zeiträume geboten, kann die schneller anschlagende, intravenöse Hochdosis-Eisentherapie mit Erythropoetin kombiniert werden. Selbst die alleinige intraoperative Eisenverabreichung verringert den Fremdblutbedarf bei funktionellem Eisenmangel (Khalfallah et al. Lancet 2016;3:e415-25). Es gibt also nur wenig Gründe, egal bei welchem Zeitintervall, eine präoperative Anämie nicht zu diagnostizieren und zu behandeln.
4)Abschließend soll zur Patientenpsyche nach Diagnosenstellung noch ein paar Worte gesagt werden: Es häufen sich wissenschaftliche Nachweise des deutlichen Einflusses der mentalen Einstellung auf das Ergebnis der Operation. Patientenführung und mentale Gesundheit sind auch beim Malignompatienten von erheblicher Bedeutung für das Outcome. Nach Diagnosenstellung ist der natürliche Reflex (des Patienten und manchmal auch des Chirurgen), den Feind sofort bekämpfen zu wollen (?sofort rausschneiden?) anstatt sich vorher für den Kampf zu rüsten (Therapie der Anämie). Mit einer geeigneten ärztlichen Führung, die die obigen Aspekte vertrauensvoll und sicher erläutert, werden die meisten Patienten einer präoperativen Therapie zustimmen.
5) Um auf Ihre spezielle Konstellation einzugehen: Das Qualitätsmanagement ist sicherlich ein guter Ansatzpunkt zur Umsetzung des PBM -Konzepts, wenn Sie von Ihrer Seite und die IAKH auf die Veränderung der QM- Kriterien einwirken. Da bei Ihnen in der Tumorchirurgie NOCH ein zügiger Op-Termin als unmodifiziertes Qualitätskriterium gilt, es jedoch in anderen Fächern wie der Orthopädie bereits vorgesehen, dass die Operation trotz der umtherapierten präoperativen Anämie als Malus im QM-Katalog der Benchmarkliste gilt, ist absehbar, dass sich das inhaltlich für die Allgemein- und insbesondere Tumorchirurgie ebenfalls fordern lässt.

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Prof Dr. med. Thomas Frietsch
1. Vorsitzender der Interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft
für Klinische Hämotherapie IAKH e.V.
Anästhesiologie und Intensivmedizin
Universitätsmedizin Mannheim

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Krautterph
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ID # 455


  Erstellt am 26. November 2018 00:21 (#3)  |  Zitat Zitat   PN PN   E-Mail E-Mail
Sehr geehrter Herr Prof. Frietsch,
vielen Dank für die ausführliche Darstellung.
Beim weiteren Literatur Studium stoße ich mehrfach auch bei den zitierten Autoren Wilson et al. auf die Problematik des funktionellen Eisenmangels. Hier wird die Frage nach möglichen negativen Langzeit Effekten durch Eisen assoziiertes Tumorwachstum diskutiert. Der FID Anteil wird als ebenfalls relevanter Anteil am gesamten Eisenmangel angegeben.
Mit freundlichen Grüßen Philipp Krautter

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Philipp Krautter
Facharzt Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin
Oberschwaben Klinik, St Elisabethen Klinikum Ravensburg

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tfrietsch
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ID # 24


  Erstellt am 17. Dezember 2018 08:44 (#4)  |  Zitat Zitat   PN PN   E-Mail E-Mail
Sehr geehrter Herr Krautter,
Zu Ihrem Anliegen möchte ich Ihnen schon einmal eine kurze Antwort geben: Prof, Zacharowski hat im Rahmen des Anästhesie-updates 2017 mitgeteilt, dass es Hinweise gibt, dass eine Eisentherapie auch relativ kurzfristig (also schneller als nach 2-3 Wochen) wirksam ist.Man sollte zwar grundsätzliche eine längere Frist einplanen, um die Aktivität des Knochenmarks zu fördern, eine positive Wirkung ist aber auch zu erwarten, wenn Eisen kurz vor einem Eingriff appliziert wird.
In der Endoprothetik setze ich intravenöses Eisen (auch zusammen mit einer Eigenblutspende) nicht selten (mit gutem Erfolg) etwa 7 bis 10 Tage präoperativ ein.

Ich bin auch gerade dabei, ein Klinik-übergreifendes PBM (individuelle Hämotherapie) -Konzept zu entwerfen. Bisher ist das PBM nur in der Endoprothetik und der Plast. Chirurgie etabliert. In dem Diagramm (Ablauf-Schema) werde ich auch die Möglichkeit von zeitlichen Ausnahmen einarbeiten.

Herzlicher Gruss, Gerhard Wittenberg, Schatzmeister der IAKH

Quix-Gerhard und Cornelia
c.g.wittenberg@myquix.de

Dr. Gerhard Wittenberg
Arzt für Anästhesiologie und Bluttransfusionswesen, D.E.S.A.
Oberarzt der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin und Schmerztherapie
BG-Klinik Ludwigshafen
67071 Ludwigshafen
E-Mail gerhard.wittenberg@bgu-ludwigshafen.de
Tel. 0621-6810-8717

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tfrietsch
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ID # 24


  Erstellt am 17. Dezember 2018 08:46 (#5)  |  Zitat Zitat   PN PN   E-Mail E-Mail
Vielen Dank, Gerhard. Wir werden den IAKH Algorithmus für die IAKH Mitglieder als Download im Bereich der Handreichungen einstellen.

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Prof Dr. med. Thomas Frietsch
1. Vorsitzender der Interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft
für Klinische Hämotherapie IAKH e.V.
Anästhesiologie und Intensivmedizin
Universitätsmedizin Mannheim

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tfrietsch
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  Erstellt am 17. Dezember 2018 10:29 (#6)  |  Zitat Zitat   PN PN   E-Mail E-Mail
Hallo an alle,
seit langer Zeit setzen wir hier im Klinikum i.v. Eisen auch durchaus erst einen Tag vor der Op ein, wenn es organisatorisch oder seitens der Indikation nicht anders geht. Das funktioniert sehr gut. Zwar wird der Hb erst später reagieren, die Patienten haben dennoch einen besseren Verlauf als die Vergleichsgruppe (dazu gibt es auch vernünftige Literatur und dazu hatte ich auch schon auf unserer Jahrestagung berichtet, ich weiß nicht genau, ob im letzten oder vorletzten Jahr). Wir sollten aber generell dazu kommen, dass bei elektiven Patienten mit Anämie die Op solange verschoben wird, bis die Patienten abgeklärt und z.B. bei Indikation mit Eisen (und evtl EPO) effektiv behandelt sind.

Prof. Dr. Jochen Erhard
ehem. Chefarzt der Allgemein und Viszeralchirurgie Dinslaken
Evangelisches Klinikum Niederrhein gGmbH
Fahrner Strasse 133
47169 Duisburg

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