Covid-19 - Koagulopathie, Endothelitis oder NETosis?

Thrombopenie, D-Dimer-Erhöhung, v.Willebrand und F XI-Veränderungen mit arteriellen und venösen Thromboembolien ist charakteristisch für Covid-19

Becker RC. COVID-19 update: Covid-19-associated coagulopathy [published online ahead of print, 2020 May 15]. J Thromb Thrombolysis. 2020;1‐14. doi:10.1007/s11239-020-02134-3

Eine spezifische Covid-19-Endothelitis mit Einbezug der mittleren und großen Arterien scheint in dieser Ausprägung typisch  für die Erkrankung zu sein und die Sterblichkeit zu bedingen. Bei einem Drittel der stationären Covid-19-Erkrankten ereignen sich thromboembolische Komplikationen. Dabei handelt es sich bei der Mehrzahl der Fälle in 27% um tiefe Beinvenenthrombosen, aber auch um Lungenembolien, Myokardinfarkt- und zerebrale Infarkte bis hin zu arteriellen Verschlüssen in systemischen Gefäßen, große Hirngefäße und endokardiale Thrombosen.  Ältere Patienten und Patienten mit  pathologischen Gerinnungswerten für Quick und aPTT haben ein über 4 fach höheres Thromboserisiko. Die großzügige Indikationsstellung zur Thromboseprophylaxe bereits bei stationärer Aufnahme (oder bei Risikopatienten davor) verringert die Mortalität deutlich. Bei Pneumoniepatienten finden sich häufig höhere D-Dimere. Gegenüber dem ARDS durch andere Erreger sind Lungenembolien wesentlich häufiger (16,7% vs. 2,1%). Fast bei allen (87,7%) ARDS-Fällen einer Studie fand sich Lupus-Antikoagulans, daneben erhöhte von Willebrand Faktor (VWF) Antigen, VWF Aktivität und F VIII. 

Die besonders hohe Dichte und Lokalisation der Angiotensin-converting Enzyme-Rezeptoren (ACE2) im Endothel von Herz, Lungen, Venen und Arterien ist eine mögliche Erklärung der Symptomatik. Die Hyperinflammation des Endothels kann durch die Macrophagenantwort der "Perizyten" hervorgerufen werden, die ähnlich wie bei einem Hämophagozytischen Lymphohistiozytose-Syndrom (HLH) bei Malignompatienten durch die mangelnde Downregulation von Lymphozyten und Histiozyten hervorgerufen wird. Die Thrombozyten interagieren mit Leukozyten und ermöglichen in dieser Situation die Invasion der Gewebe. Deshalb korreliert die Thrombopenie oftmals mit dem Schweregrad des Organversagens und der extramedullären Thrombogenese durch Megakariozyten. Thrombozyten spielen eine Schlüsselrolle bei der Aktivierung  von Neutrophilen und ihrer transendothelialen Migration unter Beteiligung des von Willbrand-Faktors. Aktivierte Neutrophile beispielsweise durch Migration oder verletzte Endothelzellen setzen sogenannte NETs frei- extrazelluläre "Traps". Diese DNA und Histone (Chromatinbestandteile) verursachen ebenso wie die Virus-RNA selbst eine Aktivierung der Thrombozyten (bei Kontakt mit Endothel-Histonen). Freiwerdende Bruchstücke aus Polyphosphaten in RNA Länge erleichtern die Aktivierung von F XI und FV und hemmen die antithrombotische Wirkung des Gewebefaktorpathwayhemmers (tissue factor pathway inhibitor TFPI). Bei schwerer Covid-19-Erkrankten wurden Spiegel an solchen DNA-Bruchstücken und DNA-Myeloperoxidase Komplexen nachgewiesen, die mit der Schwere und Akuität der Erkrankung korrelierten.

Die Covid-19 Koagulopathie ist charakteristisch durch die hohen D-Dimer-Spiegel, als Hinweis auf die Existenz von Thrombose und Fibrinolyse. Aber ungleich den meisten Stadien der dissiminierten Koagulopathie DIC kommt es bei der Covid-19-typischen Koagulopathie selten zu Blutungen und überschießender Fibrinolyse, und ungleich zur thrombotischen Mikroangiopathie (wie TTP oder HUS) weniger zur Hämolyse. Meist sind Überschneidungen im weiteren Verlauf oder späteren Stadien mit DIC und thrombotischer Mikroangiopathie vorliegend.
 
Die Empfehlungen der meisten internationalen und nationalen Gesellschaften für Thrombose und Hämostase (ISTH, BSH, ASH, ASC) beinhalten Diagnosescores und die meist therapeutische Dosierung von niedermolekularen Heparinen oder Fondaparinux. Derzeit sind 8 Studien zur Wahl des Präparats und deren Dosierung im Gange. Die neusten Empfehlungen der ISTH finden Sie hier: Thachil J. et al. ISTH interim guidance on recognition and management of coagulopathy in COVID‐19.J Thromb Haemost. 2020 May;18(5):1023-1026. doi: 10.1111/jth.14810. Epub 2020 Apr 27.
  
Ein sehr lesenswerter Artikel mit hinreichend Erklärungen der ganz eigenen Charakteristik der Hämostasestörung unter Covid-19, der plausible Erklärungen für die Laborkonstellationen hat und die Notwendigkeit der großzügigen Indikationsstellung und Dosierung der Thromboseprophylaxe betont.

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