Prähospitale Transfusion von Blut- eine deutsche Notwendigkeit ?

Gesetzesänderung des AMG zum Vertrieb von Erythrozytenkonzentraten verabschiedet

 

Die prähospitale Therapie mit Blutprodukten (Erythrozytenkonzentraten, Plasma und prokoagulatorischen Konzentraten) wird von einigen Rettungsorganisationen und Blutspendediensten in Deutschland angestrebt und bereits betrieben. Luftgebunden führen schon länger die Deutsche Rettungs-Flugwacht (DRF), der ADAC und bodengebunden einige Standorte Blutkonserven zur Versorgung von Unfallopfern mit sich. Entsprechende Nachrichten aus der Laienpresse (z.B. Spiegel, Welt, Südkurier, Rheinpfalz, ) (Facebook:"Erstmalig Leben gerettet dank Blutkonserven an Bord") und auch im deutschen Ärzteblatt (Weiterer-Helikopter-für-Transport-von-Blutkonserven-ausgerüstet)sind erschienen.

Man muss die nicht mit dem klinischen Bereich abgestimmte Form der Erstversorgung in Bezug auf Notwendigkeit, Evidenz und Qualitätssicherung kritisch sehen, zumal in Zeiten der zunehmenden Konservenknappheit. Nicht nur, dass die Krankenhäuser und Notaufnahmen nicht informiert wurden, sondern auch dass die Evidenz für den zivilen und deutschen Versorgungsbereich einer solchen aus dem militärischen Bereich stammende Strategie schlichtweg nicht existiert. Die Daten, die aus weniger als einer Handvoll randomisierten kontrollierten Studien zur prähospitalen Gabe von Blutkonserven vorliegen, sind widersprüchlich bezüglich des Nutzens. Sie betreffen vorwiegend den Einsatz von Plasma und auch bei langen Wegezeiten gibt es aufgrund der Vermischung der Therapie als Volumensubstitution keine eindeutigen, wissenschaftlich basierten  Empfehlungen.

Allerdings erhält die medizinisch zweifelhafte Initiative Rückhalt aus der Politik. So wurde jetzt Ende Dezember 2022 eigens das Arzneimittelrecht für die Ermöglichung das Blutvertriebs von den Blutspendezentralen an die Rettungsdienste geändert: Nach § 47 Absatz 1 Nummer 5 des Arzneimittelgesetzes, den Paragraphen zur Regelung des Betriebsweges von Arzneimitteln, wurde folgende Nummer 5a eingefügt: ( Pharmazeutische Unternehmer und Großhändler dürfen Arzneimittel nur abgeben an "durch Landesrecht bestimmte Träger der Luftrettung, soweit es sich um aus menschlichem Blut gewonnene Erythrozytenkonzentrate handelt,“(Amtliche Bekanntmachung).

Das bedeutet, dass die pharmazeutischen Hersteller, also die Blutspendedienste, Blutprodukte (allerdings nur Erythrozytenkonzentrate) an Rettungsorganisationen wie DRF und ADAC abgeben dürfen. Diese dürfen also auch jetzt ein eigenes Depot mit Erythrozytenkonzentraten betreiben.

Wir beobachten ganz genau, wie sich die Befürworter des Konzepts von wissenschaftlichen Grundsätzen und Erkenntnissen lenken lassen (siehe auch Stellungnahme der IAKH zum prähospitalen Einsatz von Blutkonserven). Derzeit gibt es in Deutschland keine offiziell beim Paul-Ehrlich-Institut angemeldete Studie zur prähospitalen Versorgung mit Konserven. In Großbritannien wird derzeit der prähospitale Einsatz von Vollblut im Vergleich zu Erythrozytenkonzentraten und Plasma erforscht (SWIFT). Über andere derzeit noch laufenden Studien hatten wir bereits Anfang des Jahres im Zusammenhang mit einer Literaturrezension berichtet (Prähospitale Transfusion- was ist gesichert?).

Da die erforderliche Evidenz nur mit einem klugen und abgestimmten Studiendesign, das auf die deutsche Versorgungslage abgestimmt sein sollte, erarbeitet werden kann, würden wir die eventuell gewinnbringende Initiative als klinischer Bereich der Hämotherapie unterstützen. Allerdings könnte der Eindruck enstehen, dass man erst die Tatsachen schaffen will und die Notwendigkeit anhand der wie auch immer zustande kommenden Einsatzfrequenz rechtfertigen will.

Wir würden begrüßen, wenn sich die prähospitale Bluttransfusion auf dem Boden guter Wissenschaft und sinnvoller Bedarfsplanung mit Anspruch an Qualität in Deutschland etablierte. Dazu braucht es interdisziplinäre und interstrukturelle, sektorübergreifende Kommunikation.

aktuelle Literatur zum Thema 

  • Davenport R, Weaver A, Green L. Prehospital blood transfusion: Can we agree on a standardised approach? Injury. 2023 Jan;54(1):1-2. doi: 10.1016/j.injury.2022.12.010. Pubmed: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36587956/
  • O'Brien KL, Shainker SA, Callum J, Chmait RH, Ladhani NNN, Lin Y, Roseff SD, Shamshirsaz AA, Uhl L, Haspel RL. Primum, non nocere: Whole blood, prehospital transfusion and anti-D hemolytic disease of the fetus and newborn. Transfusion. 2023 Jan;63(1):249-256. doi: 10.1111/trf.17209. Epub 2022 Nov 30. Pubmed: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36449373.
  • Griggs JE, Lyon RM, Sherriff M, Barrett JW, Wareham G, Ter Avest E; Air Ambulance Charity Kent Surrey Sussex. Predictive clinical utility of pre-hospital point of care lactate for transfusion of blood product in patients with suspected traumatic haemorrhage: derivation of a decision-support tool. Scand J Trauma Resusc Emerg Med. 2022 Dec 13;30(1):72. doi: 10.1186/s13049-022-01061-x. Pubmed: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36514084  PMCID: PMC9749287.

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