Update der europäischen ESA-Leitlinien zur perioperativen Massivtransfusion

Kozek-Langenecker SA et al.Management of severe perioperative bleeding: guidelines from the European Society of Anaesthesiology: First update 2016.Eur J Anaesthesiol. 2017 Jun;34(6):332-395. doi: 10.1097/EJA

Die ESA empfiehlt mit folgendem Evidenzgrad:

zur präoperativen Gerinnungsanamnese und -diagnostik

  • eine präoperative Familien- und Medikamenten-Gerinnungsanamnese mittels Standardfragebogen vor allem und auch elektiven chirurgischen Eingriffen, mit Vorzug vor die Abnahme des Routinegerinnungslabors (INR,PTT, Thrombozytenzahl), 1C
  • Algorithmen mit vorab-festegelegten Triggern zur Transfusion vorzugsweise basiert auf visko-elastischer Gerinnungsdiagnostik oder aber auch Routinelabor im Fall von intraoperativen Blutungen, 1C
  • präoperative Plättchenfunktionsdiagnostik nur bei einer positiven Blutungsanamnese oder Einnahme von Plättchenhemmern, 2B (Die Verwendung der Blutungszeit ist als zu uncharakteristisch nicht empfohlen 3C)

zur Behandlung und Vermeidung präoperativer Anämie

  • Vermeidung der präoperativen Anämie (B), durch ein Screening und weiterführende Diagnostik 3-4 Wochen präoperativ (1C)
  • Korrektur der Eisenmangelanämie(1B), vorzugsweise mit intravenösen Präparaten (1C)
  • Kombinierter Einsatz von Eisen und Erythropoese-stimulierenden Medikamenten (ESA) mit restriktiven Transfusionstriggern (1C)
  • ESA sollen eingesetzt werden ,wenn Eisen alleine nicht wirksam ist (2B)
  • Bei der Eigenblutspende soll eine präoperative Anömie und die damit erhöhten Transfusionsraten unter EInsatz von Eisen mit und ohne ESA verhindert werden.(1C)
  • Verschiebung der elektiven Chirurgie bis die Anämie korrigiert ist (1C)
  • Postoperativer Einsatz von intravenösem Eisen bei postoperativer Anäie (2C)

zur Unterstützung von Kreislauf, Blutvolumen und Schlagkraft des Herzens

  • Aggressive und rechtzeitige Optimierung der Vorlast intraoperativ (1B)
  • Senkung der Untergrenzen der kardialen Vorlast und/oder kontrollierte Hypotension bei unkontrollierter intraoperativer Blutung(2C)
  • Vermeidung von Hypervolämie als Folge von Infusion mit Kristalloiden oder Kolloiden (1B)
  • Flussgestützes Monitoring wie non-invasive Herzzeit-Volumenmessung und Volumenstressantwort sollen die Blutvolumentherapie steuern, nicht druckgesteuerte Parameter wie ZVD oder Wedge-Druck (1B)
  • Blutverluste und der Verlust anderer extrazellulärer Flüssigkeiten soll rechtzeitig und protokollbasiert mit isotonen Kristalloiden ausgeglichen werden (2C).
  • Kolloidaler Volumenersatz verursacht weniger Ödembildung (C)
  • Verwendung von balanzierten Kristalloiden und iso-onkotischen Lösungen (2C)

zu Transfusionstriggern 

  • Anstrebung eines Ziel Hämoglobinbereichs (Hb) zwischen 7 bis 9,0 g/dl während aktiver Blutung (1C)
  • Verwendung eines kontinuierlichen Hb-Messgeräts zur Trendanzeige  (C)

zur inspiratorischen Sauerstoffkonzentration

  • Verwendung erhöhter Sauerstoffkonzentration unter Vermeidung der Sauerstofftoxizität > 200mmHg (2C)

zur kontinuierlichen Überwachung der Gewebsoxigenierung  

  • Wiederholte oder kontinuierliche Messungen von Hämatokrit (Hct)/Hämoglobin, Laktat und Basendefizit zur Einschätzung von Gewebsdurchblutung, Blut- und Volumenverlust, wahöleise auch ergänzt durch Monitoring von HZV, Volumenstatus [z.B. Schlagvolumenvariation (SVV), Pulsdruckvariation (PPV)], CO2 Gap und zentralvenöser Sättigung, 1C 

zur normovolämen Hämodilution ANH

  • Die ANH kann in speziellen Situationen nützlich sein, 2C
  • Sie ist NICHT empfohlen in Kombination mit kontrollierter Hypotension,1c
  • Sie ist vorsichtig anzuwenden bei erworbenen oder präexistenten Gerinnungsstörungen, 1C

zu weiteren Aspekten der Gabe von Blutprodukten ist empfohlen:

  • EInrichtung eines nationalen Hämovigilanzsystems ist empfohlen, 1B
  • Die Verwendung restriktiver Transfusionstrigger reduziert den Fremdblutbedarf, 1A
  • Pathogeninaktivierung von Gefrierplasma FFP und Thrombozytenkonzentrate (TK), 1C
  • Verwendug von Leukozytendepletion für Blutprodukte, 1B
  • Standard Operating Procedures SOP für die Patientenidentifikation und Ausbildung des Personals zur Erkennung und Behandlung von Transfusionsreaktionen, 1C
  • Beschränkung der Plasmaspende auf männliche Spender zur Reduktion der TRALI-Inzidenz, 1C
  • Bestrahlung aller Blutprodukte bei Verwandtenspende bei immunkompetenten Empfängern und bei allen allogenen Produkten bei immunsupprimierten Empfängern, 1C
  • Die nosokomiale Infektionsrate: Ist mit Fremdbluttransfusion assoziiert, B
  • Der Lagerschaden: Die ESA empfiehlt zur Verringerung des Verfalls die zuerst gespendeten Konserven wieder so früh wie möglich auszugeben,1A. 

Maschinelle Autotransfusion MAT: 

  • Verwendung der MAT ist empfohlen bei großen orthopädischen/unfallchirurgischen und Herzchirurgischen EIngriffen, 1B
  • Die Routine-Anwendung der plättchenreichen Plasmapheresetechnik zur Herz-Lungen-Maschine ist NICHT empfohlen, 1B 
  • MAT mit Waschzyklen ist NICHT KONTRAINDIZIERT bei der Darmchirurgie, wenn intraoperative Darmentleerung separiert praktiziert wird und Breitspektrumantibiotika gegeben werden, 1C
  • MAT ist NICHT KONTRAINDIZIERT bei der Krebschirurgie, wenn nicht direkt vom unmittelbaren Tumorgebiet Blut abgesaugt wird und zur Retransfusion Leukozytendepletionsfilter benutzt werden, 2C

Thrombozyten und Plasmatransfusion: 

  • Die prophylaktische Plasmatransfusion zur korrektur einer erniedrigten INR wird NICHT empfohlen, 1C
  • Frühe Korrektur von isoliertem Faktorenmangel mit Faktorenkonzentraten, Kryopräzipitat oder hochen Volumina von Frischplasma, in Abhängigkeit von der klinischen Situation, Art der Blutung, der Ursache, des Mangels und der Verfügbarkeit von Präparaten, 1B
  • Bei erworbener nicht-traumatischer verminderter Gerinnungsfähigkeit ist der frühest mögliche, zielgerichtete Therapiebeginn mit einem fixen Verhältnis von EK zu FFP nützlich. 2C
  • Faktorenkonzentrate sind bei erworbenem Mangel aufgrund ihrer Effektivität und verringerten Infektionsrisiko sinnvoll, 2C
  • Unkritische perioperative Plasmatransfusion ist NICHT empfohlen, 1C
  • Thrombozytentransfusion sind bei Blutungen unterhalb einer Plättchenzahl von 50 000/µl oder 50x10 9 /L empfohlen, 2C

Gerinnungsmanagement

  • Als erworbene Hypofibrinogenämie wird perioperativ das Vorliegen von Fibrinogenspiegeln < 1,5 mg/dL angesehen, das mit einem erhöhten Blutverlust einhergeht, C
  • Die Therapie der Hypofibrinogenämie, 1C
  • mit einer inititialen Dosis von 25-50mg/kg KG Fibrinogenkonzentrat, 2C
  • oder (wenn nicht verfügbar) mit Kryopräzipitat von 4-6 ml/kg KG, 2C
  • Plasmatransfusion alleine ist zur Korrektur der erworbenen Hypofibrinogenämie nicht ausreichend , C
  • Bei Blutungen und Faktor XIII Mangel (<30%) ist die Gabe von Faktor XIII-Konzentrat (30ml/kgKG) empfohlen, 2C
  • Bei blutenden Patienten unter einer Dauereinstellung auf Vit.K-Antagonisten ist als erste Therapiemaßnahme die Verabreichung von Prothrombinkomplex PCC,PPSB empfohlen, 1B
  • Erniedrigte INR-Werte oder verlängerte Clotting Time bei viskoelastischen Tests (TEG, ROTEM) stellen KEINE etablierten Indikationen für den Einsatz von PCC,PPSB beim perioperativ Blutenden dar, C
  • Prophylaxe mit aktivierten F VII-Konzentrat (rF VIIa) ist wegen des Risikos der fatalen Thrombose NICHT empfohlen, 1B
  • Einsatz von rF VIIa kann als Ultima Ratio nach vergeblichem chirurgischen, interventionellem, radiologischem und konventionellem Blutungs/Gerinnungsmanagement erfolgen, 2C
  • Tranexamsäure ist zur Vermeidung von Blutungen bei blutverlustreichen Eingriffen und/oder zur Therapie der Hyperfibrinolyse in einer Dosis von 20-25 mg/kg KG empfohlen, 1B 
  • DDAVP ist unter speziellen Bedingungen anzuwenden (i.E. erworbenes von Willebrand Syndrom), 2C
  • Antithrombingabe beim Blutenden ist NICHT angezeigt, AT3
  • Mitarbeiterschulung und Training für diese Situation ist empfohlen, 1C

Weitere Bedingungen der perioperativen Hämotherapie

  • Normotherapie soll hergestellt und aufrechterhalten werden , weil es den Blutverlust und den Transfusionsbedarf verringert, 1C
  • Die Azidose soll zusätzlich korrigiert werden, ist aber alleinig nicht zur Therapie der erworbenen azidotischen Koagulopathie ausreichend, 1C
  • aktivierter Faktor VII soll nicht ohne begleitende Azidosekorrektur eingesetzt werden, 1C
  • Calciumsubstitution soll Zielwerte im normalen Bereich anstreben (o,9mmol/L), 1B
  • Eine gleichwertige Alternative zur offenen Operation einer akuten oberen gastrointestinalen Blutung (GIB) nach erfolgloser endoskopischer Blutstillung ist die endovaskuläre Embolisierung, 2C
  • Die superselektive endovaskuläre Embolisierung ist als beste primäre Therapie der akuten unteren GIB empfohlen, 2C
  • Die ESA empfiehlt die primäre Embolisierungstherapie bei arteriellen Blutungskomplikationen der akuten Pankreatitis, 2C

Auszüge mit Relevanz zur Hämotherapie aus den weiteren Punkten der ESA Guidelines ab

Kapitel 1.7.2 Kosten 

  • Sowohl der perioperative Blutverlust als auch die Transfusion von Blutprodukten erhöhen unabhängig voneinander die Morbidität, Mortalität, Krankenhaus- und Intensivstationsverweildauer (LOS)als auch die Behandlungskosten, B
  • Der Einsatz der maschinellen Autotransfusion kann bei ausgesuchten Patienten kosteneffektiv sein, B
  • Tranexamsäure kann Blutverlust und Transfusionsbedarf deutlich reduzieren und damit die Kostenreduzieren, B
  • Die Beschränkung des Einsatzes von rFVIIa auf seine Zulassungsvorgaben wird aufgrund des hohen Thromboembolieririkos empfohlen, 1A
  • Eine zielgerichtete Therapie mit Gerinnungsfaktorkonzentraten bei Trauma, Herzchirurgie und Lebertransfpolantation reduziert möglicherweise die transfusionsbedingten Kosten, C

Die Details in den unterschiedlichen Gebieten sind ebenfslls erarbeitet und lesenswert:

Kapitel 1.8.1 Herzchirurgie

Kapitel 1.8.2 Gynäkologie

Kapitel 1.8.3 peripartale Hämorrhagie

Kapitel 1.8.4 Orthopädie und Neurochirurgie

Kapitel 1.8.5 Kinderchirurgie

Kapitel 1.8.6 Viszeral- und Transplantationschirurgie

Kapitel 1.8.7 Obere Gastrointestinal-Blutung

Kapitel 1.8.8 Koagulopathie und Nierenfunktion

 

Kapitel 1.9 Thrombosetherapie

Kapitel 1.9.1 Plättchenaggregationshemmer

Kapitel 1.9.2 Heparin

Kapitel 1.9.3 Fondaparinux

Kapitel 1.9.4 Vit.K-Antagonisten

Kapitel 1.9.5 Direkte orale Antikoagulanzien

 

Kapitel 1.10  Komorbiditäten mit Hämostasestörungen

Kapitel 1.11 Vererbte Gerinnungsstörungen

 

INsgesamt ein sehr ausführliches und gründliches evidenzbasiertes Werk, extrem lesenswert!

 

Pubmed

 

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