Karkouti Anesthesiology 2012: Ist die erhöhte Sterblichkeit von Bluttransfusionen nur ein Statistikeffekt?

Anesthesiology 2012; 117:1175-83- Karkouti K et al. Relationship of erythrocyte transfusion with short – and long-term mortality in a population-based surgical cohort.

Der Artikel vom Dezember 2012 aus Toronto und das begleitende Editorial von Le Manach, Paris sind lesenswert, weil sie die ständige Diskussion zwischen kritischen und unkritischen Befürwortern der Fremdbluttransfusion widerspiegelt. Die Bewertung bleibt aber weiterhin unklar...

 

Im Artikel kommen die Autoren um Karkouti in einer retrospektiven Datenanalyse anhand 162000 Patienten in 66 kanadischen Krankenhäusern zur Hüft- und Knieendoprothetik mit der einen statistischen Methode (logistische Regression) zum Ergebnis, dass im Vergleich zu nicht-transfundierten Patienten die Sterblichkeit der transfundierten Patienten höher ist.  Mit der alternativen statistischen Methode (die die Transfusionscharakteristik der analysierten Gesundheitseinrichtungen berücksichtigt) ergibt sich kein Einfluss der Transfusion auf die Patientensterblichkeit.

 

Im Editorial „Erythrozytentransfusion- Gift oder Medizin“ meint Le Manach dazu, dass nicht nur aus dieser Studie sondern auch als Folgerung der bislang publizierten widersprüchlichen Daten weitere Studien dringend notwendig sind; dass die großen Datenmengen aus Verwaltungsdatenbanken zwar gut gepowert, aber nur vorsichtig hinsichtlich fehlender Angaben zu interpretieren sind;  dass die Prädiktoren für eine Bluttransfusion vielschichtig und interagierend sind und nicht in einer Verwaltungsdatenbank zu finden sind; dass der Versuch anhand der Variabilität des Transfusionsbedarfs eines Krankenhauses die Sterblichkeit von Patienten mit denselben Vorerkrankungen im Vergleich zu untersuchen der Wahrheit vielleicht näher kommt, als die einfache logistische Regression.

 

Genau die letzte, aber wesentliche Bewertung der Karkouti-Studie kann ich persönlich nicht nachvollziehen. Patienten mit denselben Vorerkrankungen werden in unterschiedlichen Zentren nicht nur mit einem unterschiedlichen Risiko für die Fremdbluttransfusion konfrontiert, sondern auch mit anderen Blutverlusten, OP-Techniken und unterschiedlichen Routinen, etc. Dass diese im vorigen Ansatz, wobei alle Zentren über einen Kamm hinsichtlich dieser Einflüsse geschert werden, bleibt unbenommen. Aber dass der zentrumsgewichtete Ansatz dies bessern könne, ist unwahrscheinlich- das Ergebnis bleibt in derselben Unschärfeklasse und die Unbekannten werden nur getauscht. Die Idee der Zentrumsgewichtung aber ist, dass man mit der Homogenisierung hinsichtlich der präexistenten Risiken = Komorbiditäten den Effekt der Transfusion auf die Sterblichkeit durch die in nach Transfusionsbedarf in 4 Klassen unterteilten Zentren ohne Störrauschen darstellen kann. Es war jedoch aus anderen Studien eine Unabhängigkeit der Transfusionshäufigkeit auf die Sterblichkeit bekannt- die Assoziation zwischen krankenhausspezifischer Transfusionsrate und Sterblichkeit war in einer anderen Studie und über 100 000 amerikanischen Koronarbypässen ebenfalls nicht gefunden. Wer weiß, dass er ein schlechter Autofahrer ist, kann durch vorsichtigere Fahrweise zur selben Unfallstatistik kommen. Dass das statistische Verfahren mit dem Zentrumsvergleich in der kanadischen Studie von Karkouti und Mitautoren eine Unbedenklichkeit der Fremdbluttransfusion ergibt, mag meiner Ansicht also einerseits eben derselben Unschärfe geschuldet sein, mit der auch im anderen Verfahren die Unbekannten kontrolliert werden oder der Gruppenvergleich von 4 Gruppen führt zum Verlust der statistischen Signifikanz.

 

Mein Fazit:

Aus Gründen dieser unscharfen Evidenz zählen für mich nur Stimmen, die Zweifel an der Unbedenklichkeit der Fremdbluttransfusion äußern. Studienergebnisse, die die eher zu klinischen Veränderungen führenden schädlichen Einflüssen von Fremdblut anhand  von Zentrumsvergleichen zu widerlegen suchen, sollten mit exakt denselben Methoden an den Zentren zum konträren Ergebnis kommen und wenn nicht prospektiv, dann wenigstens (retrospektiv) die Ursache oder die Faktoren benennen können, die den Unterschied machen.

Und da stimme ich wieder mit Herrn Le Manach überein: Zukünftige Studien müssen die präoperative Anämie bzw. deren Korrektur, die Antikoagulanziengabe und intraoperative Gabe an gerinnungsmodifiziernden Substanzen, die verwendeten Transfusionstrigger, die Volumensubstitution und der Blutverlust, die Verlegungsstrategie als auch die postoperative Anämietoleranz klarlegen und beachten.  

 

Zu den freien PDFs über die Pubmed-Links von Studie (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23090146) und Editorial  (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23090147)

 

T. Frietsch

Vorsitzender der IAKH e.V.

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