Volumenüberladung nur in einem von 100 Transfusionen?

Roubinian NH. Contemporary risk factors and outcomes of transfusion-associated circulatory overload. Crit Care Med 2018;46:577-585.

 

Die Annahme, dass die Transfusion eines Blutproduktes bei den meisten Patienten nicht zur Volumen-Überladung (TACO-Transfusion associated circulatory overload) führt, ist allem Anschein nicht korrekt. Zumindest kann man es nicht mit Sicherheit sagen, da erstens die Messmethode dafür fehlt oder nicht anwendbar ist und zweitens eine allgemein akzeptierte Definition des TACO fehlt. Inzidenz und Risikofaktoren des TACO sind deshalb unbekannt. So gibt es auch noch keine Leitlinie zur Vermeidung.

Jetzt gibt es erste Daten durch die prospektive Observation-(Fall-Kontrolle-)Studie von Roubinian et al. innerhalb eines Jahres in 4 kleineren Häusern an beinahe 21000 (200 TACO und 405 transfundierten) Patienten: Es wurde ein bekannter TACO -Fall mit 2  transfundierten Patienten ohne Diagnose eines TACO „gematcht“. Der Umfang der Transfusion wurde in 3 Klassen von bis zu 2 Einheiten, bis zu 6 und mehr als 7 Konserven eingeteilt.

Die klinische Diagnose des TACO wurde anhand der Kriterien der NHSN (National Healthcare Safety Network) gestellt: Jedes Lungenödem, das innerhalb von 6 h nach der Gabe einer Blutpräparation auftrat, wurde klinisch, echokardiographisch oder laborchemisch (BNP) diagnostiziert und ausgewertet. Die Diagnose TACO bei den ermittelten Patienten wurde nach dieser Definition in 28% als sicher, in 60% als wahrscheinlich und in 25% als möglich eingestuft.

Die so ermittelte TACO-Inzidenz ist mit 1:100 vermutlich immer noch zu niedrig. Einleuchtender Weise stieg sie mit der Anzahl der transfundierten Einheiten- nicht wie bisher ermittelt erst nach 3-6 Konserven, sondern bereits nach 2 Einheiten im Mittel. Die mit multivariater logistischer Regression ermittelte Risikofaktoren für TACO waren neben Notfalleingriffen einleuchtender Weise kardiovaskuläre (Herzinsuffizienz (OR 2,0 (1,2-3,5, p<0,01)), KHK (OR 1,7 (1,1-2,8, p<0,02)), Kardiomegalie/Hypertrophie im Thoraxröntgen (OR 1,9 (1,1-3,5, p=0,03)), Hypertension zum Zeitpunkt der Verabreichung des Blutprodukts) und renale (AKI (OR 1,9 (1,1-3,1, p<0,02)), dauerhafte Diuretikatherapie und unter Dialyse (OR 2,2 (1,1-4,3, p<0,03)) Grunderkrankungen.

TACO erforderte häufiger künstliche Beatmung (71 vs. 49%, p<0,001) und verlängerte sowohl die Verweildauer auf Intensivstation (80 vs. 74%, p<0,001) wie im Krankenhaus insgesamt (82 vs 76%, p<0,04). Die 50-Tage-Mortalität der Patienten mit TACO in dieser Analyse von Roubinian et al. war im Vergleich zu den transfundierten Patienten ohne Symptome von TACO deutlich gesteigert (21% vs. 11%, p=0,02). Die Patienten, die Symptome des TACO entwickelten, erhielten deutlich mehr Plasmakonserven ((OR 1,6 (1,2-2, p<0,001)) als auch mehr Diuretika vor der Blutkomponentengabe (OR 2,4,9 (1,4-4,2, p<0,001)). 

Obwohl die Inzidenz immer noch relativ zu niedrig erscheint, ist diese Studie die erste prospektive Untersuchung mit einer definierten TACO-Diagnostik. Ob die unerwartet niedrige Inzidenz einem Studienbias geschuldet ist, ist nicht zu beantworten. Eine Variation in verschiedenen Kollektiven ist aber durchaus bekannt- basierend auf verschiedene kleinere Publikationen geht man von einer breit varriierenden TACO-Inzidenz um 0,5-8% aus. Das von Roubinian et al. untersuchte Kollektiv war gut gemischt. Sowohl die Mortalität als auch die verlängerte Verweildauer fielen damit relativ gering aus: Magee et al. gingen 2013 von einer verlängerten Krankenhausverweildauer um 30% aus.

Eine weitere aktuelle Studie von Bosboom et al. scheint der Realität deutlich näher zu kommen: Sie untersuchte, allerdings in einem retrospektiven nested-control-Ansatz einer Intensivstation in Holland, die Inzidenz, Risikofaktoren und das Outcome des TACO bei Intensivpatienten und einem interdisziplinären Kollektiv. Abgegrenz wurde das TACO (definiert als die akute funktionelle respirorische Beeinträchtigung 6h nach Transfusion unter einen paO2/FiO2 - Index von 300) von der reinen Hypervolämie ohne Transfusion und transfundierten Patienten ohne Zeichen der Volumenüberladung. Die Inzidenz des TACO war bei 5,8%. Bei kardiologischen (odds ratio [OR], 13.6; 95% confidence interval [CI], 5.1-35.7; p ≤ 0.001) und kardiochirurgischen Patienten (OR, 8.8; 95% CI, 3.7-20.7; p ≤ 0.001), anamnestischer Herzinsuffizienz (OR, 2.4; 95% CI, 1.2-4.6; p = 0.01), kontinuierlicher Hämofiltration (OR, 3.2; 95% CI, 1.2-8.9; p = 0.03). Positive Flüssigkeitsbilanz war eher in der Gruppe der Hypervolämie ohne Transfusion (OR, 1.15; 95% CI, 1.07-1.24; p ≤ 0.001) als in der TACO-Gruppe zu verzeichnen(OR, 0.89; 95% CI, 0.82-0.97; p = 0.005). Patienten mit TACO hatten eine verlängerte Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation gegenüber transfundierten Patienten und Patienten mit einer Hypervolämie (median, 7.2 vs. 4.3 vs. 4.4 Tage; p = 0.001 vs. p = 0.008).

Das zeigt uns wie wichtig es ist, dass wir die Übertransfusion und das TACO vermeiden lernen. Mögliche Vermeidungsstrategien beinhalten eine kontinuierliche Messung des Blutvolumens, vor allem in den hochrisiko-Kollektiven mit Herz-, Leber- und Niereninsuffizienz. Uns fehlen aber bislang konsistente Daten der TACO-Inzidenz unter diesem Volumenmonitoring. Die Publikation von Yu et al. für Patienten im septischen Schock unter Volumenmonitoring (PAK) ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert: Verglichen wurde damals eine Volumensteuerung unter PAK mit kontinuierlicher Volumenmessung zur Vermeidung der Hypervolämie 48% vs. 37%). Sie konnte nicht immer verhindert werden, aber die Mortalität wurde von 24% auf 8% gesenkt.

Damit ist die Weiterentwicklung von noninvasiven Techniken zum Blutvolumenmonitoring zur Steigerung der Anwendungssicherheit  von Blutprodukten und der Vermeidung von TACO bzw. Volumenüberladung dringend notwendig.

 

Pubmed- Crit Care Med

Pubmed- Transfusion

Für Sie gelesen von T. Frietsch

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