Akute oder chronische Anämie- ändert das etwas am Transfusionstrigger?

Carrier FM et MINT Investigators. Anemia Acuity Effect on Transfusion Strategies in Acute Myocardial Infarction: A Secondary Analysis of the MINT Trial. JAMA Netw Open. 2024 Nov 4;7(11):e2442361. doi: 10.1001/jamanetworkopen.2024.42361

Eine akute Anämie könnte schlechter vertragen werden als eine kompensierte chronische Anämie. Wenn das so wäre, müssten wir die Dynamik der Anämieentwicklung in die Transfusionsentscheidung mit einbeziehen- sprich bei plötzlichem starken Abfall früher mit der Transfusion von Erythrozytenkonzentraten beginnen. In einem Kollektiv von Herzkranken mit akutem Herzinfarkt sollte das am besten untersuchter sein.

Genau das hat eine Autorengruppe der MINT-Studie um Jeff Carson und Paul Hebert anhand der bereits als RCT erhobenen Daten nun untersucht. In dieser MINT Studie ging es um die restriktive versus einer liberaleren Transfusionsgrenze bei einem akuten Herzinfarkt mit Anämie an ca. n=3500 Patienten. Wurde restriktiv transfundiert, ergab sich eine statistisch nicht signifikant schlechtere 30 Tage Mortalität. Allerdings war das Risiko eines 30-Tage-Todes oder eines Myokardinfarkts in der Gruppe mit restriktiver Strategie (16,9 %) tendenziell höher als in der Gruppe mit liberaler Strategie (14,5 %). Obwohl diese Ergebnisse nicht statistisch signifikant waren, deuteten sie auf mögliche Schäden durch eine restriktive Strategie hin. Dieser primäre Befund berücksichtigte nicht den zeitlichen Verlauf der Anämieentwicklung, der sowohl die Prognose nach einem Myokardinfarkt als auch das Ansprechen auf Transfusionen beeinflussen kann.

Da es keine konsentierte Definition von akuter Anämie gibt, wurden Teilnehmer dann als akut anämiebetroffen betrachtet, wenn sie die folgenden Kriterien erfüllten: einen Hämoglobinwert zu Beginn oberhalb der Anämie-Definitionsgrenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (13 g/dl bei Männern, 12 g/dl bei Frauen), gefolgt von einem Abfall auf den Randomisierungsgrenzwert (< 10 g/dl), oder einen Hämoglobinwert zu Beginn unterhalb der WHO-Grenzwerte, gefolgt von einem Abfall um 2 g/dl oder mehr vor der Randomisierung. Die übrigen Teilnehmer, deren Hämoglobinwert zu Beginn unterhalb der WHO-Grenzwerte und der Abfall des Hämoglobins um weniger als 2 g/dl vor der Randomisierung lag, galten als chronisch anämiebetroffen.

Als primäres Ergebnis wurde eine Kombination aus Tod oder wiederkehrendem Herzinfarkt, wie in der MINT-Hauptstudie, festgelegt. Sekundäre Ergebnisse waren Tod, wiederkehrender Herzinfarkt, Herztod, Herzinsuffizienz, eine Kombination aus pulmonalen Komplikationen (transfusionsbedingte akute Lungenschädigung [TRALI], transfusionsbedingte Kreislaufüberlastung [TACO], Lungenentzündung und akutes Atemversagen) und schweren Blutungen.

3144 Personen (89,7 %) aus 126 von 144 Standorten der Gesamtstudie (87,5 %) wurden in diese Sekundäranalyse einbezogen . Ihr Durchschnittsalter (SD) betrug insgesamt 72,3 (11,6) Jahre; 1715 (54,5 %) waren männlich, 1429 (45,5 %) weiblich und 1307 (41,6 %) hatten einen Herzinfarkt Typ 1. Bei 34,3 % (n = 1078) der eingeschlossenen Teilnehmer wurde eine akute Anämie und bei 65,7 % (n = 2066) eine chronische Anämie beobachtet.

Teilnehmer mit akuter Anämie wiesen weniger chronische Komorbiditäten auf (z. B. Vorhofflimmern, chronische Nierenerkrankung und Diabetes), waren häufiger Raucher, hatten häufiger einen Herzinfarkt Typ 1, hatten sich häufiger einer perkutanen Intervention unterzogen und waren häufiger mit einer höheren Anzahl von Antithrombotika behandelt worden und hatten vor der Randomisierung einen schwereren klinischen Verlauf (mehr Blutungsepisoden, Bedarf für mindestens eine Bluttransfusion, Einsatz mechanischer Beatmung und mehrere Tage auf Intensivstationen).

Nach Korrektur potenzieller Störfaktoren war eine akute Anämie 30 Tage nach Randomisierung im Vergleich zu einer chronischen Anämie mit einer um 25 % höheren Inzidenz von Tod oder wiederkehrendem Herzinfarkt (RR 1,25; 95 %-KI 1,05–1,48), einer um 47 % höheren Inzidenz von Tod (RR 1,47; 95 %-KI 1,16–1,86) und einer um 36 % höheren Inzidenz von Lungenkomplikationen (RR 1,36; 95 %-KI 1,12–1,66) assoziiert (Tabelle 2; eTabelle 3 in Supplement 2). Die Risiken für wiederkehrenden Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Herztod und schwere Blutungen waren bei Patienten mit akuter und chronischer Anämie ähnlich.

Es war allerdings nicht bedeutsam, ob restriktiv oder liberal für die akute oder chronische ANämie behandelt wurde: Für das primäre kombinierte Ergebnis Tod oder wiederkehrender Herzinfarkt hatte die Wirkung einer restriktiven Strategie im Vergleich zu einer liberalen ein RR von 1,20 (95 % KI, 0,97–1,48) in der Schicht der chronischen Anämie und ein RR von 1,09 (95 % KI, 0,85–1,40) in der Schicht der akuten Anämie (P = 0,57 für die Interaktion).

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine akute Anämie ein Marker für einen komplexeren und morbideren Krankheitsverlauf ist. Patienten mit akuter Anämie wiesen vor der Randomisierung Anzeichen eines erhöhten akuten Blutverlusts, hämodynamischer Instabilität und der Notwendigkeit intensivmedizinischer Behandlung, einschließlich mechanischer Beatmung, auf. Daher schien der Schweregrad der Anämie nicht den potenziellen Schaden einer restriktiven Erythrozytentransfusionsstrategie zu erklären, der in der MINT-Studie beobachtet wurde. Bei Patienten mit Anämie und Myokardinfarkt sollten sich Ärzte bei der Wahl der Transfusionsstrategie nicht vom Schweregrad der Anämie leiten lassen.

Pubmed

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Für Sie gelesen von Th. Frietsch
 

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