AWMF Leitlinie Polytrauma Update ist veröffentlicht

Dt. Gesell. für Unfallchirurgie: S3-Leitlinie Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung (AWMF Reg.Nr. 187-023), Vs 4.0 (31.12.2022) auf https://register.awmf.org/assets/guidelines/187-023l_S3_Polytrauma-Schwerverletzten-Behandlung_2023-02.pdf

Insgesamt sind mehr als die Hälfte der Kapitel überarbeitet, 69 neue Schlüsselempfehlungen formuliert und 70 weitere modifiziert worden. Die neue Nomenklatur ist chronologisch und spricht nun einheitlich von Prähospitaler Phase, Schockraumphase und erste OP-Phase. Die Systematik der Schlüsselempfehlungen ist geändert worden, um die Empfehlungen der jeweiligen Therapiephase zuzuordnen.

Besonders essentiell sind die Empfehlungen zum Gebrauch von Blutstillungsmaßnahmen in der Prähospitalphase, zur evidenzbasierten Anwendung der POCT-Gerinnungsdiagnostik (s.u. 2.4.) in der ersten Empfehlungspriorität. 

Neue Kapitel sind 1. Prähospitale Phase, 1.1 Stop the bleeding, 1.4 Analgesie. . 

Beachtenswerter Weise finden sich die Gabe von Blukomponenten erstmalig als Ultima ratio (Empfehlungsgrad 0)

Die wichtigsten Empfehlungen sind:

-  1.1.5 - Aktive Blutungen der Extremitäten sollen durch folgendes Stufenschema behandelt werden: 1) Manuelle Kompression, 2) Kompressionsverband, wenn möglich in Kombination mit einem Hämostyptikum, 3) Tourniquet   Empfehlungsgrad A

-  1.1.9 - Ein Tourniquet soll dann angewendet werden, wenn eine lebensgefährliche Blutung mit anderen Maßnahmen nicht zeitgerecht gestoppt werden kann.  Empfehlungsgrad A

- 1.2.11 - Kapnometrie/-grafie soll prähospital und innerklinisch im Rahmen der endotrachealen Intubation zur Tubuslagekontrolle und danach zur Dislokations- und Beatmungskontrolle angewendet werden.  Empfehlungsgrad A

- 1.3.4 - Bei Traumapatienten, bei denen ein venöser Zugang nicht gelingt, soll ein intraossärer Zugang zur Infusions- und Medikamententherapie gelegt werden.   Empfehlungsgrad A

- 1.4.8 - Fentanyl, Ketamin und Morphin weisen eine vergleichbare Effektivität auf und sollen zur Analgesie des spontanatmenden schwerverletzten Patienten zur Anwendung kommen.   Empfehlungsgrad A

- 2.2.2 - Das interprofessionelle Schockraum-Team soll aus mindestens 2 Pflegekräften und mindestens 2 Ärzten bestehen, die die notfallmedizinische und notfallchirurgische Kompetenz abbilden.  Empfehlungsgrad GPP (Expertenkonsens)

- 2.2.5 - Bei folgenden Verletzungen oder Maßnahmen nach Trauma soll das Schockraumteam aktiviert werden: Instabiler Thorax, mechanisch instabile Beckenverletzung, Vorliegen von penetrierenden Verletzungen der Rumpf-Hals-Region! Amputationsverletzung proximal der Hände/Füße! Sensomotorisches Defizit nach Wirbelsäulenverletzung! prähospitale Intervention (erforderliche Atemwegssicherung, Thoraxentlastung, Katecholamingabe, Pericardiozentese, Anlage Tourniquet).  Empfehlungsgrad A

- 2.2.4 - Bei folgenden pathologischen Befunden nach Trauma soll das Schockraumteam aktiviert werden: -A/B - Problem: Atemstörungen (SpO2 <90%) /erforderliche Atemwegssicherung, AF <10 oder >29/min; C - Problem: systolischer Blutdruck <90 mmHg, Herzfrequenz >120/min! Schockindex >0,9! Positiver eFAST; D - Problem: GCS ≤12; E - Problem: Hypothermie <35,0°C. Empfehlungsgrad A

- 2.3.5 -  Während der kardiopulmonalen Reanimation sollen zeitgleich leitliniengerecht traumaspezifische reversible Ursachen des Herzkreislaufstillstandes (nach xABCDE-Schema; z.B. externe Blutung, Atemwegsobstruktion, ösophageale Fehlintubation, Spannungspneumothorax, Perikardtamponade und Hypovolämie) diagnostiziert, ausgeschlossen und/oder therapiert werden. Empfehlungsgrad A

- 2.4.14 - Die Gerinnungsdiagnostik und -therapie soll über viskoelastische Testverfahren gesteuert werden.    Empfehlungsgrad A

- 2.4.17 - Bei Patienten mit lebensbedrohlichen Blutungen und/oder im Schock sowie bei nachgewiesener Hyperfibrinolyse soll möglichst frühzeitig / prähospital die Gabe von 1 g Tranexamsäure (TxA) über 10 Minuten, ggf. gefolgt von einer Infusion von 1 g über 8 Stunden, erfolgen. Empfehlungsgrad A

- 2.4.20 -  Bei Patienten mit lebensbedrohlichen Blutungen und/oder im Schock soll zusätzlich die Gabe von Fibrinogen (initial 3-6 g bzw. 30-60 mg/kg) erfolgen. Empfehlungsgrad A

- 2.5.5 - Im Rahmen der Diagnostik von Schwerverletzten soll eine zeitnahe Ganzkörper-Computertomografie* mit traumaspezifischem Protokoll durchgeführt werden, wenn keine sofort interventions-/operations- und/oder reanimationspflichtige Situation vorliegt und der RRsys nicht unter 60 mmHg ist. *(Kopf bis einschließlich Becken, CCT nativ). Empfehlungsgrad A

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Diese Leitlinie ist für viele Kliniken vor allem wegweisend für die Verwendung von viskoelastischen Tests so für wie möglich in Schockraum und OP (Empfehlung A!) und auch einer Thrombozytenfunktionstestung für dieses Kollektiv, (wenn auch mit der schwächeren B-Empfehlung).

Tranexamsäure und Plasma ist eindeutig den Schwerverletzten in der Massivtransfusion vorbehalten, weil sonst das Outcome verschlechtert (Plasma) und die Thromboseinzidenz (dosisabhängig bei Txa) steigt.

Leider vermissen wir in der Leitlinie bezüglich

- des Volumenmanagements eine Empfehlungen zum Volumenmonitoring (was in Anbetracht der oftmals schweren Abgrenzung der kardial, neurogen oder zentral bedingten Hypotonie in den Schockindex eingeht und vom substitutionswürdigen Blutverlust prä- wie innerklinisch oftmals problematisch ist)

- der Zusammensetzung des Traumateams einen Hämotherapeuten oder Gerinnungsspezialisten (was in Anbetracht der Bedeutung der TIC-trauma-induzierten Koagulopathie fürs Outcome sinnvoll wäre)

- der EInsatz der maschinellen Autotransfuson so früh wie möglich bei der Erstversorgung in OP und eventuell auch im Schockraum erwähnt wird

 

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die Langversion der S3 LL Polytrauma

 

Für Sie gelesen von Th. Frietsch

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