POISE-3: Bewertung der perioperativen antifibrinolytischen Therapie mit Tranexamsäure

Devereaux PJ et al. Tranexamic Acid in Patients Undergoing Noncardiac Surgery. N Engl J Med. 2022 May 26;386(21):1986-1997. doi: 10.1056/NEJMoa2201171.

Der großzügige und liberale off-label-Einsatz der kostengünstigen Tranexamsäure (TXA) in vielen chirurgischen Disziplinen ist vermutlich weltweit ein Verfahren geworden, dass mit fraglicher Sicherheitsabwägung durchgeführt wird, bis nachteilige Effekte bekannt werden. Sinnhaft ist das Vorgehen nicht, da nur in einigen wenigen Fällen wie dem Polytrauma die Hyperfibrinolyse Ursache einer erhöhten Blutungsneigung ist. Studien, die die Unbedenklichkeit dieses Vorgehens demonstrieren und den Anwender absichern, fehlen bislang, da die veröffentlichten Daten nicht die statistische Power besitzen, auch eine Häufung thromboembolischer Ereignisse anzuzeigen.

Nun ist eine große Multizentrische "POISE"-Studie veröffentlicht worden, die in den letzten 3 Jahren beinahe 10 000 Patienten in 28 Ländern (6 Kontinente) und 112 Einrichtungen eingeschlossen hat. Studienziele waren primär die Rate an lebensbedrohlichen Blutungen bzw. Einblutungen in kritische Organe als auch die Rate an thromboembolischen Ereignissen wie Myokardinfarkt, zerebraler Ischämie, peripherer arterieller oder venöser Thromboembolien innerhalb 30 Tagen. Sekundäres Ziel waren die Transfusionsrate, Komplikationen und Aufenthaltsdauer im Krankenhaus (LOS). Die Nicht-Unterlegenheit der Therapie sollte im per-protocol behandelten Kollektiv nachgewiesen werden (Gegensatz wäre der intention-to-treat-Ansatz: Analyse der Gruppen wie randomisiert) - allerdings erhielt eine bewundernswert hohe Anzahl der Eingeschlossenen die beabsichtigte Therapie (96,3%). Postoperativ wurde eine Thromboseprophylaxe in beiden Gruppen wie klinisch üblich verabreicht.

Die TXA wurde als zweimaliger Bolus von 1g bei Erwachsenen als je prä- und postoperative Anwendung über einem Alter von 45 Jahren mit kardiovaskulären Begleiterkrankungen und Blutungsrisiko bei allen Eingriffen mit zu erwartendem Blutverlust (nicht Herz- und Neurochirurgie) verabreicht. In der Kontrollgruppe wurde Placebo verabreicht. Insgesamt wurden Blutdruckentgleisungen vermieden.

Bei n=9535 ereigneten sich lebensgefährliche Blutungen bei n=433 von 4757 Patienten (9.1%) unter TXA im Vergleich zu n=561 von 4778 Patienten (11.7%) unter Placebo (Hazard Ratio [HR], 0.76; 95% confidence interval [CI], 0.67 - 0.87; absolute difference, -2.6 percentage points; 95% CI, -3.8 – -1.4; two-sided P<0.001 for superiority). Thromboembolische Ereignisse ereigneten sich bei n=649 von 4581 Patienten (14.2%) unter TXA im Vergleich zu n=639 von 4601 Patienten (13.9%) unter Placebo(HR, 1.02; 95% CI, 0.92 - 1.14; upper boundary of the one-sided 97.5% CI, 1.14; absolute difference, 0.3 percentage points; 95% CI, -1.1 - 1.7; one-sided P=0.04 for noninferiority).

Darüberhinaus (sekundäre Ziele) verringerte die einmalige Gabe von 2g TXA/24h die Blutungs- und Transfusionsrate um ca. 25%.

Diese Ergebnisse müssen so gelesen werden:

Die Nichtunterlegenheit für die Kombination der primären Studienziele konnte nicht nachgewiesen werden. Die Reduktion der Blutungsrate war mit einer gering erhöhten Thromboembolierate vergesellschaftet. Damit muss auch in Zukunft die geringe Reduktion der Blutungen um 2,6% (95% CI, −3.8 – −1.4) gegen die geringe Erhöhung der Thromboembolierate um 0,3% (95% CI, −1.1 – 1.7) abgewogen werden.

Der allzu liberalen Indikationsstellung kann somit keine Unbedenklichkeit attestiert werden. Bei nicht allzu deutlichen Vorteilen hinsichtlich des Abwenden einer erheblichen Blutung kann der Einsatz von TXA nicht empfohlen werden. Vor allem nicht unter den erwähnten Prämissen aufklärungspflichtiger Off-label-use und Blutungen bei nicht-diagnostizierter Hyperfibrinolyse.

 

Pubmed

Für Sie gelesen von Th. Frietsch

Zurück