Britische Leitlinien zur Bestrahlung von Blutkonserven
Foukaneli T et al. Guidelines on the use of irradiated blood components. Br J Haematol. 2020;191(5):704-724. doi:10.1111/bjh.17015.
Die Novellierung der Bestrahlungsindikationen für Blutprodukte, die sowohl in den Querschnittsleitlinien Hämotherapie 2020 vorgenommen wurde, ist aktuell und detaillierter in den britischen Leitlinien im Januar 2021vorgenommen worden.
Für die komplexe Behandlung von/vor Stammzelltransplantation und CAR-T-Zelltherapie, Autoimmunerkrankungen und Malignomen werden stark T-Zell supprimierende Medikamente eingesetzt wie Nukleosidanaloga, monoklonale Antikörper (AK) gegen T- Zellantigene, Tyrosinkinaseinhibitoren etc. Diese effektiven Therapien werden immer häufiger eingesetzt und das lässt die Gruppe der Patienten mit erhöhtem Risiko für eine transfusionsassoziierte Graft-versus-Host-Reaktion (ta-GVHD) (eine aktuelle Übersicht zur GvHD von Ramachandran V et al. 2019) anwachsen. Besonders vulnerable Patientenkollektive sind allogen transplantierte Patienten, die schon im Rahmen der Transplantation eine GVHD erlitten haben, Patienten nach einer Behandlung mit chimärischen gen-technisch hergestellten Rezeptoren auf allogenen T-Lymphozyten: Chimeric Antigen Receptor T Cells (CAR-T-Zellbehandlung, z.b. Choe JH, Williams JZ, Lim WA. "Engineering T Cells to Treat Cancer: The Convergence of Immuno-Oncology and Synthetic Biology". Annual Review of Cancer Biology 2020 4: 121–139).
Lymphompatienten mit persistierender Immunsuppression benötigen unabhängig vom Krankheitsstadium häufiger interdisziplinäre Behandlungsmaßnahmen auf Grund z.B. infektiöser Komplikationen und auch nicht selten Intensivtherapie. An den Schnittstellen der Behandlungseinrichtungen fehlt vielfach das Wissen um die Notwendigkeit für Bestrahlung von Blutprodukten. In der Komplexität der Behandlung droht die Indikationsstellung für Bestrahlung unterzugehen. Die generelle präventive Blutproduktbestrahlung für hämatoonkologische Patienten wie in anderen Ländern ist in Deutschland verlassen worden. Dafür sind die Nachteile der Bestrahlung wie die anfallenden Kosten, die Verringerung der Lagerdauer von Erythrozytenkonzentraten (EK), Hyperkaliämie etc. und der starke Rückgang der GvHD durch die Leukozytendepletion verantwortlich. Dennoch sind auch nach Einführung der Leukozytendepletion noch Fälle von GvHD aufgetreten. Insgesamt muss also bei der Wahl von hochinnovativen Behandlungsmethoden in der Hämatologie das Risiko der sehr seltenen, aber bei Auftreten zu hohem Prozentsatz tödlichen ta-GVHD berücksichtigt werden.
Die deutschen Querschnittsleitlinien 2020 formulieren den entsprechenden Abschnitt 10.3.3 zum ta-GvHD:
"Unter Berücksichtigung des häufig letalen Ausgangs einer ta-GvHD ist die Indikation zur Bestrahlung der Blutkomponenten mit 30 Gy großzügig zu stellen (Indikationen: siehe Abschnitt 10.4). Die Leukozytendepletion senkt die Wahrscheinlichkeit für eine ta-GvHD, ist aber allein keine hinreichende Maßnahme [27, 31]. GK sind aufgrund des hohen Gehaltes an proliferationsfähigen T-Lymphozyten immer mit 30 Gy zu bestrahlen (siehe Kapitel 3, Abschnitt 3.1)."
Die in der britischen Leitlinie verwendeten Daten gehen meist auf Einzelfallberichte im Hämovogilanzsystem SHOT zurück.
Die Bewertungen/Empfehlungen sind wie folgt:
1. Notfallversorgung
- Im Notfall darf die Versorgung nicht mit der Bestrahlung von EKs oder TKs verzögert werden. Leukozytendepletierte Produkte sollen benutzt werden und die Empfänger sollen die nächsten 6 Wochen hinsichtlich des Auftretens einer GvHD überwacht werden (Empfehlungsgrad nach GRADE 1C)
- Wenn im Notfall keine bestrahlten Produkte für Erwachsene verfügbar sind, sollen ältere (länger als 14 Tage gelagerte) Blutkonserven (EKs) verwendet werden (2C). Für Kinder und Säuglinge existieren gesonderte britische Empfehlungen.
2. Maßnahmen zur Vermeidung von ta-GvHD
- Bestrahlung (1B) mit 25 Gy (in allen Bereichen des Produkts nicht weniger als 15 Gy und nicht mehr als 50 Gy) in validierten Bestrahlungseinheiten und unter Verwendung eines Dosimeters (1B) (In den deutschen QLL: EKs nicht weniger als 25 Gy in allen Bereichen mit einem mittleren Intensität von 30 Gy)
- Leukozytendepletion alleine ist nicht geeignet, die ta-GvHD sicher zu verhindern (1C)
- Pathogeninaktivierung: In den UK als Alternative zur Bestrahlung nicht zugelassen
3. Herstellung von bestrahlten Komponenten
- EKs: Erythrozytenkonzentrate sollen bis zu 14 Tage nach Spende bestrahlt und für weitere 14 Tage nach Bestrahlung gelagert werden (1B). Für Patienten mit eingeschränkter Kompensationsmöglichkeit der Hyperkaliämie (intrauterin, Austausch oder Massivtransfusion bei Neu- und Frühgeborenen, etc) soll die Bestrahlung nicht länger als 24h zurückliegen (1C). Gewaschene und bestrahlte Konserven sollen so schnell wie möglich transfundiert werden (1B). Ungebrauchte bestrahlte Konserven können auch für Empfänger verwendet werden, die keine besondere Behandlung ihrer Konserven brauchen (1C).
- TKs: Thrombozytenkonzentrate können zu jederzeit bestrahlt und wie üblich gelagert und verwendet werden (1A).
- GKs: Granulozytenkonzentrate müssen immer bestrahlt und so rasch wie möglich transfundiert werden (1C).
- Etikettierung: Alle Einheiten müssen mit Barcode gelabelt und als bestrahlt gekennzeichnet sein. Ein Strahlensensor muss permanent verwendet werden (1C).
- Auswahl der Komponenten: Alle EK, TK und Gas für Risiko-Patienten bzgl. GvHD sollen bestrahlt werden. Das ist nicht nötig für kryokonservierte EKs, Gefrierplasma, Kryopräzipitat oder Plasmafraktionen (1B).
- Gerichtete Spenden: Plasma oder Zellkomponenten von Verwandten 1. oder 2. Grades sollen bestrahlt werden, selbst wenn der Empfänger immunkompetent ist, ebenso alle HLA-angepassten Konserven (1/B).
4. Anwendungsempfehlungen von bestrahlten Komponenten
- Pädiatrie:
- EKs für die Intrauterine Anwendung (1C), die Austauschtransfusion beim Neugeborenen (1C), in beiden fällen innerhalb von 24h nach Bestrahlung transzendieren
- TKs für die Intrauterine Transfusion IUT (1C)
- EKs und TKs für die normale Neugeborenenversorgung müssen nicht bestrahlt werden, nur bei vorheriger IUT bis 6 Monate nach errechnetem Geburtstermin (2C)
- Alle Kinder mit angeborenen T-Zell-Defekten/Mangel und Immundefizienz-Syndrom (1B), bereits vom Verdacht bis zum Abschluss der Diagnostik (1C)
- Bei Neugeborenen und Kindern mit Verdacht auf ein Immundefizienzsyndrom soll vor herzchirugischen Eingriffen die T-Lymphozytenzahl bestimmt werden. Ab einer gesicherten T-Zellzahl > 400/µl (davon 30% naive T-Lymphozyten) kann auf die Bestrahlung verzichtet werden (1C)
- Kinder (älter als 2J) und Erwachsene mit einem (Verdacht auf) angeborene Immunschwächekrankheit wie z.B. DiGeorge-Syndrom (Hypertrophie des Thymus und geschwächter T-Zell Funktion) haben bei fehlender anamnestischer Infektanfälligkeit kein Risiko für ein GvHD und keine Indikation für bestrahlte Blutprodukte (2C)
- Kinder mit erworbener Immunschwäche infolge eines Virusinfekts oder einer HIV-Positivität brauchen keine bestrahlten zellulären Blutkomponenten (1B)
- Hämato-/Onkologie:
- Allogene Stammzelltransplantation sollte mit der Anwendung von bestrahlten Blutkomponenten ab der Induktion der konditionierenden Radio/Chemotherapie verbunden sein und alle folgenden Kriterien erfüllt sind (1B):
- 6 Monate sind seit der Tx vergangen
- die Lymphozytenzahl > 1 x 109/µl
- der/die PatientIn hat keine chronisch aktive GvHD
- der/die PatientIn braucht keine Immunsuppressiva
Bei Persistenz der chronischen GvHD oder bei anhaltender Notwendigkeit von Immunsuppressiva sind weiterhin erforderlich, sollte die Bestrahlung fortgeführt werden (2C) oder aber die derzeitige Behandlung, die vorausgegangene Konditionierung oder die Grundkrankheit erfordert es (1C). Sind Transfusionen von Stammzellspendern 7 Tage vor oder in der Spendephase notwendig, sollten die Blutprodukte ebenfalls bestrahlt werden (2C).
- Autologe Stammzellspender sollen ebenfalls 7 Tage vor und während der Spendephase mit bestrahlten zellulären Konserven versorgt werden. Das ist bis zu 3 Monaten nach der Tx (6 Monate nach Ganzkörperbestrahlung als Konditionierung) fortzuführen, wenn nicht die Grundkrankheit (z.B. Hodgkin-Lymphom) oder die vorausgegangene Behandlung eine fortwährende Indikation zur Bestrahlung erfordert (1C)
- Hodgkin-Lymphom: Alle Kinder und Erwachsene könnten lebenslänglich mit bestrahlten Konserven versorgt werden (2C) (Es existieren zwar nur wenige Berichte über das Auftreten einer GvHD nach unbestrahlten Konserven, aber diese waren in allen Abständen zur Erstdiagnose und Therapie. In Anbetracht der gravierenden Bedrohung des meist letalen Verlaufs, ist die Bestrahlung zur Vermeidung empfohlen)
- Gleiches gilt (jeweils "könnten", 2C)
- für Krebs-Patienten unter oder nach einer Behandlung mit Purinanaloga (Fudarabine, Cladribin, Pentostatin u.a.)
- für CLL-Patienten, die mit Alemtuzumab behandelt werden/wurden bis zu Ende der Behandlungsphase mit Cyclosporin
- für Patienten nach der Behandlung einer aplastischen Anämie, die mit Alemtuzumab oder ATG (Ant-Thymozyten-Globulin) behandelt wurden
- für Patienten mit einer Behandlung mit anti-T-Zell-Therapie (ATG, und andere) bei angeborenen Immundefekten
- CAR-T-Therapie: 7 Tage vor und während der Lymphozytenspende und bis 3 Monate nach der CAR-T-Zellinfusion sollten (1C) die Patienten mit bestrahlten Konserven behandelt werden.
- Aplastische Anämie: Eine Bestrahlung der Blutkonserven ist für diese Erkrankung nicht notwendig, es sei denn für HLA-gematchte TKs, Granulozytenkonzentrate, gerichtete Verwandtenspenden und geplante Therapie mit z.B. ATG, Alemtuzumab, HSCT (1B)
- Bei Patienten mit non-Hodgkin-Lymphom (NHL) und akuter Leukämie ist die Bestrahlung nicht notwendig, bis auf Situationen mit obigen Ausnahmen (2C)
- Andere, nicht hämatologische Erkrankungen brauchen keine Bestrahlung (1B)
- Multipler Sklerose unter Behandlung mit Alemtuzumab
- Vaskulitis (z.B. M. Behcet) unter Behandlung mit Alemtuzumab
- Organtransplantierte Patienten nach Indukationstherapie oder Abstoßungsbehandlung mit ATG oder Alemtuzumab
- nach einer Behandlung mit Rituximab
Anwendung- und Verschreibungsempfehlungen
- Die Anwendung und Verschreibung sollte unter der besondere Beachtung der Bestrahlung als "Bestrahlte Konserve" angefordert und unter der Beachtung der Vorschriften und Indikationen verabreicht werden (1C)
- Für die Verwendung von bestrahlten Konserven sind spezielle Kommunikationswege und Versorgungsvereinbarungen zwischen den klinischen Einheiten und der Blutbank/Labor empfohlen (1C)
- Patienten, die bestrahlte Konserven brauchen sollten darüber gesondert aufgeklärt werden und Versorgungs-Ausweise ausgestellt bekommen (1C)
Pubmed
Für Sie gelesen von G. Notter und Th. Frietsch