Decision Support für die Thrombozytentransfusion

Murphy C et al. A randomized study of a best practice alert for platelet transfusions. Vox Sang. 2021 Jun 3. doi: 10.1111/vox.13132.

Seit der ersten Nutzung von elektronischen Hinweisen zur Unterstützung von ärztlichen Entscheidungen aus Leitlinien und Daten sind diese Systeme in den USA z.B. Stanford erfolgreich eingesetzt worden, um den Einsatz von Erythrozytenkonzentraten rationaler und evidenzbasierter zu machen (siehe auch Sutton et al. An overview of clinical decision support systems: benefits, risks, and strategies for success. Digital Medicine (2020)3:17; doi.org/10.1038/s41746-020-0221-y oder Razavi SA et al. Reduced red blood cell transfusion in cardiothoracic surgery after implementation of a novel clinical decision support tool. J Am Coll Surg 2014 Nov;219(5):1028-36. doi: 10.1016/j.jamcollsurg.2014.06.012).

Grundüberlegung ist die Komplexität der Entscheidung und die sich ständig ändernde Datenlage auf vielen Gebieten, die der Arzt heutzutage beherrschen muss, die eine elektronische Hilfestellung als Plausibilitätscheck und Leitlinienkonformitätsprüfung im Augenblick der Therapieentscheidung erforderlich macht.

Das hat das Studienteam von Stanford nun auch auf das Gebiet der Thrombozytentransfusion ausgedehnt.

Wissenschaftlich sauber wurden über eine 9-monatige Studiendauer n=446 elektronische Patientenakten randomisiert. Zuvor war ein leitliniengerechter Algorithmus zugrundegelegt, der die wenigen verfügbaren Daten zur Thrombozytentransfusion beinhaltete, zum Beispiel den Transfusionstrigger bei einer Thrombozytenzahl von 50 000/µl. Wurde nun eine Thrombozytentransfusion angefordert, wurde lediglich bei der Verumgruppe ein sichtbares Fenster geöffnet, das den Anfordernden auf die Ausnahmen hinwies, die es erfordern auch über dieser Schwelle Thrombozyten zu verabreichen wie geplante Neurochirurgie, intrakranielle Blutungen, Herzbypasschirurgie und bekannte oder erworbene Funktionsdefekt der Thrombozyten. Der Anforderer musste dann die Warnung wegklicken und die Gründe angeben (nicht zwingend). Die Kommentare wurden gesichtet und ausgewertet. In der Kontrollgruppe erschien die Warnung nicht.

Über eine Studiendauer wurden 5336 Thrombozytenkonzentrate für 1331 Patienten transfundiert, davon waren leider nur 445 in die Studie aufgenommen worden und zu gleichen Teilen auf die Verum- (n=228) und Kontrollgruppe (n=218) aufgeteilt worden.

Der Effekt war, dass in der Verumgruppe 25.3% weniger Thrombozytenkonzentrate verabreicht wurden! Der mittlere Monatsverbrauch war somit 65,7 TKs in der Kontrollgruppe, aber nur 49,1 in der Verumgruppe (p=0.07). Der Index von TKs pro Patient/Tag war nicht signifikant unterschiedlich (2.4 vs. 2.1, p=0.53).

Von insgesamt 353 Warnungen in der Verumgruppe wurden 327 (!) übergangen. Die Gründe waren von häufig bis selten Bypasschirurgie, Thrombozytenfunktionsstörungen, Neurochirurgie und intrakranielle Blutung. Mit den Ärzten, die die Warnungen übergangen hatten, wurden Interviews geführt, um die Gründe für Missachtung der Warnung in Erfahrung zu bringen: Die meisten Anforderungen mit Missachtung der Alertmeldung (34%) waren präoperativ und somit vermutlich prophylaktisch oder unter Zeitdruck, knapp 20% der Empfänger hatte eine aktive klinische Blutung (allerdings nicht ZNS), bei gut 10% lag ein Funktionsdefekt der Thrombozyten des Empfängers vor, in 7% eine Hirnblutung, 5% andere Gründe, 5% Prophylaktische Indikation, 4% vor Herzchirurgie, etc. In vielen Fällen waren die Anwender weisungsgebunden und fürchteten Repressalien. Der Grundsatz "Not kennt kein Gebot" wurde in aktiven Blutungsfällen bemüht, oftmals wurde die eigene Praxis nicht als nicht-leitlinienkonform erkannt, denn Blutprodukte sind immer noch als positives Mittel angesehen, um blutende Menschen zu stabilisieren.

Probleme bereitete es den Ärzten, die die Alerts missachteten, dass sie den Aufwand scheuten, einer Maschine Eingriff in ihre Situationsanalyse zu gewähren. Vor allem in dynamischen Situationen, in denen die Verschlechterung des Patienten erfordert, dass der Arzt handelt, sind Leitlinien und Evidenz ebenso wie Erinnerungen daran störend.

Die Autoren registrieren die Kritik an ihrem noch jungen System und sehen die Technik nicht als Wundermittel, die die wissenschaftliche Evidenz mit der individuellen Patientensituation verbindet. Sie muss etabliert, gelehrt und akzeptiert werden, um dann das Potenzial als echte Hilfestellung zu entfalten.

Ein sehr lesenswerter und guter Artikel, egal ob man die elektronischen Systeme begrüßt oder ablehnt. Eine potenzielle Hilfe könnten sie sein, aber sicher nicht vom ersten Tag an. Erstaunlich nur und auch hoffnungsvoll, dass sie in Stanford sogar beim ersten Durchlauf einigermaßen wirksam waren.

Pubmed

 

Für Sie gelesen von Th. Frietsch

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