Empfehlungen zur Antikoagulation von Intensivpatienten

Susen S et al. Prevention of thrombotic risk in hospitalized patients with COVID-19 and hemostasis monitoring. Critical Care (2020) 24:364; doi.10.1186/s13054-020-03000-7

Die entwickelten Empfehlungen der französischen Gesellschaft zur perioperativen Hämostase (Groupe d’intérêt en Hémostase Périopératoire (GIHP)) und die französische Gesellschaft für Hämostase und Thromboseforschung (Groupe Français d’études sur l’Hémostase et la Thrombose (GFHT)) basieren auf den bis Anfang Mai publizierten Berichten zu Thromboembolien bei Covid-19. Die Empfehlungen sind aufgrund der schlechten Datenevidenz im Artikel als "Vorschläge" bezeichnet:  

Empfehlungen :

Ziel1: Risikoerfassung

Empfehlung 1: Alle Patienten mit positivem Testergebnis auf Covid-19 sollten hinsichtlich eines zusätzlich erhöhten Thromboembolierisikos gescreent werden: Aktive Krebserkrankung (6 Monate), anamnestisch thromboembolische Ereignisse (im letzten Jahr), Alter >70J, Bettlägerigkeit, postnatal, orale Kontrazeptivaeinnahme, etc.)

Empfehlung 2: Einordnung der Patienten in 4 Kategorien je nach BMI, Schweregrad der Covid-19-Infektion (Sauerstoffbedarf) und gescreenten Thromboserisiken (siehe Tabelle 1 , untenstehend):

a.)- niedriges Risiko: -nicht stationär aufgenommener "normalgewichtiger"(BMI<30 (kg/m2)) Patient ohne Risiken nach 1. (s.o.)

b.)- mittleres Risiko: -BMI > 30, kein Hi-Flow-O2-Bedarf o. Beatmung und ohne Thromboserisiken

c.)- hohes Risiko:

- BMI < 30 mit der Notwendigkeit von Hi-Flow-O2-Bedarf o. Beatmung plus zusätzlichen Thromboserisiken oder

- BMI > 30 ohne Notwendigkeit von Hi-Flow-O2-Bedarf o. Beatmung plus zusätzlichen Thromboserisiken oder

- BMI > 30 mit der Notwendigkeit von Hi-Flow-O2-Bedarf o. Beatmung ohne Thromboserisiken 

d.)-sehr hohes Risiko

-  BMI > 30 mit der Notwendigkeit von Hi-Flow-O2-Bedarf o. Beatmung plus zusätzlichen Thromboserisiken

- Patienten unter ECMO

- Thrombosen und Verschlüsse von Zentralvenenkatheter, artiellen Kanülen oder Dialysefilter

- Hyperinflammation und/oder Hyperkoagulopathie (Fibrinogen > 800mg/dl, D-Dimere > 3000ng/ml

Ziel 2: Monitoring der Gerinnung

Empfehlung 3: Alle 48h soll Labor erfolgen: Thrombozytenzahl, INR, aPTT, D.-Dimere, Fibrinogen

Empfehlung 4: Bei allen schwer Erkrankten sollen bei klinischer Verschlechterung, Thrombopenie oder Abfall des Fibrinogens auch Fibrinmonomere, Gerinnungsfaktoren II und V, Antithrombin AT Spiegel zur DIC-Diagnose bestimmt werden.

Empfehlung 5: Bei wiederholten Thrombosen unter effektiver Heparintherapie soll der Nachweis von Antiphospholipid-Antikörper versucht werden.

Ziel 3: Antikoagulanzientherapie

Empfehlung 6: Umstellung aller ambulant oral antikoagulierten Patienten auf therapeutische Heparindosen

Empfehlung 7: Bei mittlerem Thromboserisiko gemäß der o.a. Kategorisierung ist die Prophylaxe-Standarddosis mit NM-Heparinen oder Fondaparinux  über eine Kreatinin-Clearance über 50ml/min ausreichend. Bei schwerer Niereninsuffizienz sind niedermolekulare Heparine NMH s.c. als Alternativen zum unfraktionierten Heparin geeignet: Bei Crea-Clearance 15-30 ml/min Enoxiparin 2000 IE/die o. Tinzaparin 3500 IU/24 h SC (bei Crea-Clearance 20-30 ml/min)

Empfehlung 8: Anti Xa Aktivität braucht bei prophylaktischer Dosierung der NMH nicht bestimmt werden

Empfehlung 9: Bei hohem Risiko soll eine intensivierte (mittlere prophylaktische) Dosierung der NMH gewählt werden: Enoxaparin 2 x 4000 IE/die s.c. oder 2 x 6000 IE/die s.c. beim KG > 120 kg

Empfehlung 10: Bei der intensivierten und hohen Dosierung der NMH ist die Überprüfung der Anti-Xa Aktivität 4h nach der dritten Injektion angeraten und regelmäßig im Verlauf bei Patienten mit Niereninsuffizienz

Empfehlung 11: Bei sehr hohem Risiko sind therapeutische Dosen der NMH oder unfraktioniertes Heparin bei Niereninsuffizienz nach einem Initialbolus von 5000 IE unter Kontrolle der Anti-Xa-Aktivität empfohlen.

Empfehlung 12Bei Adipositas BMI > 30 und hohem oder sehr hohem Thromboserisiko sind folgende Dosierungsempfehlungen gegeben: Hohes Risiko: Enoxiparin 2 x 4000 IE/die s.c. oder bei KG > 120kg 2x 6000 IE/die s.c. Sehr hohes Risiko: Enoxiparin 200 IE/kg KG/die s.c. bis zu einem Tagesmaximum von 20 000 IE, bei sehr hohem Thromboserisiko und Beatmung oder High Flow O2 UFH 500 IE/kg KG/die.

Empfehlung 13: Bei der Therapie mit unfraktioniertem Heparin (UFH) ist eine Kontrolle des Anti-Xa-Spiegels mindestens alle 48h ohne Dosisänderung empfohlen, sonst bei jeder Dosisänderung. Startdosierung sind jeweils 200IE/kg/die i.v. bei intensivierter Prophylaxe bzw. 5000 IE/kg/die i.v. nach einem Intitialbolus von 5000 IE bei therapeutischer Dosierung bis zu den Zielspiegeln von 0,3 - 0,5 IE /ml und 0,5 - 0,7 IE/ml. 

Empfehlung 14: Unter ECMO ist die Therapie mit UFH in therapeutischer Dosierung und Zielspiegel von 0,5 - 0,7 IE/ml empfohlen.

Empfehlung 15: Bei Hyperinflammation oder Hyperkoagulobilität (Def. s.o.) ist auch in Abwesenheit von klinischen Thrombosen unter Abwägung des Blutungsrisikos die therapeutische Dosierung des UFH empfohlen.

Empfehlung 16: Bei der Therapie mit UFH soll die Thrombozytenzahl alle 48h kontrolliert werden. Ein Abfall > 40% zwischen dem 4. und 14. Therapietag erfordert eine Diagnostik für dissiminierte Gerinnungsstörung DIC (s. 4.) und Heparin-induzierte Thrombopenie HIT. 

Empfehlung 17: Bei Multiorganversagen oder/und Verbrauch an Thrombozyten, Fibrinogen und F V soll die Dosierung des UFH adjustiert werden, da Blutungskomplikationen vermieden werden sollen.

Empfehlung 18: Intensität und Dauer der Thromboembolietherapie und Prophylaxe sollen an neuaufgetretene Risiken und die Erkrankungsschwere angepasst werden, dafür ist eine Überprüfung in regelmäßigen Abständen dienlich.

Ziel 4: Berücksichtigung zusätzlicher Aspekte 

Empfehlung 19: Eine evtl. bestehende hormonelle kontrazeptive Therapie soll für die Behandlungsdauer unterbrochen werden.

Empfehlung 20: Die Herstellung und Sicherung einer speziellen, effektiven und schnellen Infrastruktur und Kommunikation zwischen Labor und klinischer Behandlungseinheit ist empfohlen. 

Empfehlung 21: Bei jeder plötzlichen respiratorischen Verschlechterung, Kreislaufsymptomatik insb. Rechtherzdekompensation soll eine Lungenembolie-Diagnostik stattfinden. 

Empfehlung 22: Bei jeder plötzlichen klinischen Verschlechterung oder D-Dimer Erhöhung sollte eine Gefäßkompressions-Duplex Sonographie der Femoral- und Poplietalvenen erfolgen.

Empfehlung 23: Die Implementierung von Cava-Schirmen ist nicht empfohlen.

Empfehlung 24: Intermittierende Wadenkompressionsgeräte sind eine Behandlungsoption für Patienten mit hohem Blutungsrisiko 

EIne sehr dezidierte und spezifische Empfehlung auf dem Boden der in frühen Phasen der Pandemie existierenden Datengrundlage, die für mich eher befolgt werden soll als das Ergebnis einer amerikanischen Meta-Analyse von Maldonado E et al. aus Transfusion (zum Free Access PDF), die zum Ergebnis kommt, dass die bisherigen Empfehlungen zur Thromboseprophylaxe ausreichen und nicht mit einer erhöhten Thromboemboliegefahr verbunden sind. Formale Meta-Analysen mit strikten Einschlusskriterien sind nur dann verlässlicher, wenn die Datengrundlage ausreichend ist. Das scheint mir bei der letzten Arbeit aus Portland, OR, USA nicht der Fall. 

Pubmed

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