Frauen überleben unfallbedingte Blutungen besser!

Coleman JR et al. Female platelets have distinct functional activity compared with male platelets: Implications in transfusion practice and treatment of trauma-induced coagulopathy. J Trauma Acute Care Surg. 2019 Nov;87(5):1052-1060.

Geschlechterunterschiede in allen Bereichen der Medizin werden nach und nach bekannt. Aus empirischen Daten bestand bereits seit einiger Zeit die Vermutung, dass die physiologischen Reaktionen des Gerinnungssystems von Frauen im Falle eines großen Traumas effektiver sind als die von Männern. Bekannt ist bereits, dass die thrombelastometrischen Parameter CT, alpha-Winkel und die maximale Amplitude der Gerinnselgraphik größer sind, Frauen im traumatischen Blutungsschock auch weniger Transfusionsbedarf haben und einen Überlebensvorteil aufweisen. Unklar war bisher, an welchen Teilen des Gerinnungssystems hormonelle Einflüsse zum Tragen kommen.

Jetzt hat eine Studie mögliche Mechanismen untersucht: Die Thrombozytenantwort auf Stimulation mit Adenosindiphosphat (ADP, aktiviert den P2Y12- und den P2Y1-Rezeptor) und Plättchen-aktivierendem Faktor (PAF, P2Y1-Rezeptor) als auch die Vollblut-Fibrinogenbindungskapazität wurden flowzytometrisch gemessen - die auch im Trauma vermehrt ausgeschütteten Aktivationsmediatoren der Gerinnung. Die Blutplättchen wurden 15min bei 37°C mit Östradiol inkubiert. Das ist hinsichtlich der vorhandenen Östrogen- und Testosteron-Rezeptoren auf Thrombozyten und Megakariozyten sinnvoll, um hormonelle Einflüsse der Gerinnung nachzuweisen. Gesunde Probanden (n= 47) im Alter unter (w, n=12, prämenopausal) und über (w, n= 13, postmenopausal) 54 Jahre wurden untersucht.

In der Tat wurden spezifische Geschlechtsunterschiede der Plättchenreagibilität gefunden, die die Unterschiede der Gerinnbarkeit beim Trauma erklären könnten. Beurteilt wurde die Verformbarkeit der Plättchen als Ausdruck der Aggregabilität sowie die Fibrinogenrezeptorexpression. Unbehandelte Thrombozyten von Frauen jeglichen Alters reagierten stärker auf die ADP-Stimulation, flowzytometrisch gemessen durch die CD43 Expression. Bei unbehandelten Thrombozyten von Männern war eine geringere Aktivierung auf ADP-Stimulation, aber eine deutlich stärkere Aktivierung durch PAF zu messen. Wurden die männlichen Thrombozyten mit Östradiol vorbehandelt, verschwand die verstärkte Reaktion auf PAF und die Aktivierung auf den ADP-Stimulus war verstärkt. Die feminisierenden Effekte der Östradiolvorbehandlung waren bei jüngeren Männern deutlich stärker als bei älteren.

Da die unterschiedliche Reagibilität auf die jeweiligen Stimuli (ADP und PAF) die Schlussfolgerung ist, die aus der Studie gezogen werden kann, muss man zur Interpretation verstehen, dass im Trauma - PAF aus Endothel und Thrombozyten freigesetzt wird. Das führt über den P2Y1-Rezeptor zu einer erhöhten intrazellulären Calziumfreisetzung und damit zu einer erhöhten Verformbarkeit und Aggregationsbereitschaft. ADP Freisetzung wird aus den Granula der Thrombos freigesetzt und führt noch zusätzlich über den P2Y12-Rezeptor zur Modulation der intrazellulären cAMP-Spiegel, was darüberhinaus schlussendlich zur Thromboxan A2-Produktion, Entleerung der granulären Einschlüsse, Freisetzung von P-Selektin und verstärkte Fibrinvernetzung führt.

Das erklärt vermutlich nicht alles, zumindest aber den thrombozytären Anteil der Hyperkoagulabilität von weiblichen Trauma-Opfern. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Östradioltherapie von männlichen Trauma-Opfern zu den realisierbaren Therapieansätzen zählen wird, da erstens die Östrogenwirkung extrem dosisabhängig ist und desweiteren das Zusammenwirken von verschiedenen Aktivatoren mit den hormonell beeinflussbaren Rezeptoren den Effekt ausmacht.

Beachtenswert ist die Beeinflussbarkeit von männlichen Thrombozyten durch den Östrogenrezeptor ER beta, während die weiblichen Thrombozyten durch Androgene unbeeinflusst bleiben. Testosteron verursacht eine gesteigerte ADP-abhängige Aggregation von männlichen Thrombozyten. Geschlechtspezifische Ansprechbarkeit von Thrombozyten sind vermutlich nur eine Seite einer noch wenig beleuchteten Medaille - die komplexen Blutgerinnungsmechanismen und deren hormonellen Modifizierungen sind nur unvollständig verstanden.

 

Pubmed

Für Sie gelesen von T. Frietsch

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