Individualisierte Infusionstherapie und Volumenersatz in der Sepsis- eine aktuelle Übersicht

Monnet X, Lai C, Teboul JL. How I personalize fluid therapy in septic shock? Crit Care. 2023;27(1):123. Published 2023 Mar 24.

Der aktuelle Bezug zur just publizierten RCT zur Volumentherapie im septischen Schock CLOVER im New Eng Journal hat wohl weitere Autoren zu einem Artikel stimuliert: Im Artikel der Autoren aus Paris wird eingangs verdeutlicht, dass eine leitliniengerechte und evidenzbasierte Therapie des septischen Schocks mit Volumenersatzmittel die individuellen Gegebenheiten und der individuelle Patient außer acht lässt- was in der Natur von Leitlinien und großen Studien begründet ist. Gibt es darüber hinaus eine phasenorientierte, pathophysiologisch motivierte und trotzdem datengestützte Individualtherapie für die Flüssigkeitstherapie im septischen Schock? Die Autoren behaupten genau das.

 

Welcher Volumenersatz:

Kolloide:

Auf schwacher Datenbasis setzen sich in der Anfangsphase es septischen Schocks balanzierte Kolloide durch, empfohlen von der Leitlinie der Surviving Sepsis Campaign (SSC) 2021 (hauptsächlich basierend auf der SMART Studie). Executive summary: surviving sepsis campaign: international guidelines for the management of sepsis and septic shock 2021.

 Hydroxyäthylstärke wird im Artikel nicht explizit von Dextranen oder Gelatinen abgegrenzt. Kochsalzlösungen sind wegen erhöhter Todesrate und Nierenversagens aufgrund der hypochlorämischen Azidose nicht empfohlen. Ein individueller Ansatz wäre der Einsatz von isotonischen Albumin bei Patienten mit Hypalbuminämie.

Kristalloide:

Die Wahl von Kochsalz, balanzierten oder unbalanzierten Vollelektrolytlösungen wird von den Autoren nicht eindeutig zugunsten der balanzierten Lösungen empfohlen, sondern auf einen individuell gemessenen Chloridspiegel abgestimmt. Bei Schädel-hirn-traumatisierten Patienten wird eher die unbalanzierte Lösung notwendig sein, da diese Situation eher mit einer Hypochlorämie assoziiert ist.

 

Flüssigkeitsbilanz

Insgesamt unterstützen die Mehrzahl der vorhandenen Studien (i.E. CLASSIC, RADAR II) eine restriktive kumulative Flüssigkeitsbilanz hinsichtlich Mortalität für Sepsis und ARDS. Allerdings dürften die Studien aussagekräftiger sein, wenn der Flüssigkeitsbedarf gemessen würde oder getestet, was in keiner der Studien erfolgte.

 

Individualisierte Phasen-Strategie
Die Autoren schlugen eine individualisierte und Phasen-/Flüssigkeitsbedarf-orientierte Strategie, illustriert mit einem Schaubild vor (Abb). In der initialen Resuscitation- Phase soll die Volumenreagibilität gemessen werden und gegenüber der frühen Katecholamingabe abgegrenzt werden. In der Optimierungsphase soll sich die Flüssigkeitstherapie an Parametern wie Lungenwasser, Gefäßwiderstand/Permeabilität, ZVD oder Wedgedruck orientieren. In der Stabilisierungsphase sollen überflüssige Infusionen vermieden und die Einfuhr so weit wie möglich beschränkt werden. Die Rückzugs- (Evakuierungs-)phase ist geprägt vom Flüssigkeitsentzug.   

Dabei empfiehlt es sich nicht, den individuellen Volumenbedarf in der Initialphase nicht so kritisch, wohl aber in den folgenden Phasen auszutesten. Zur Auswahl stehen der Passive-Leg-Raising-Test, die Mini-Volumenbelastung (BolusTest) (Kürzlich ist von denselben Autoren ein Artikel der verschiedenen Möglichkeiten (Monnet X, Shi R, Teboul JL. Prediction of fluid responsiveness. What’s new? Ann Intensive Care. 2022;12(1):46) publiziert worden).

Die Entscheidung, welcher Test angewandt werden soll, kann anhand dreier Kriterien getroffen werden:

  • Ist der Patient beatmet oder nicht?
    • wenn beatmet und im Sinusrhythmus, kann ein minimal invasives Monitoring der Schlagvolumen/Pulsdruckvariabilität (SVV oder PPV) kontinuierlich genutzt werden
    • wenn spontan atmend oder arrythmisch, die Sonographie der V. Cava ist zwar weniger aussagekräftig, aber immer noch gut anwendbar
    • die Tidalvolumen-Belastung (VT-Challenge): Bei Erhöhung des Tidalvlumens von 6 auf 8ml/kg erhöht die Vorlast und damit den Blutdruck.
    • Ob beatmet oder spontan atmend, es empfehlen sich
      • die Trendelenburg-Position (Vorlasterhöhung erhöht Blutdruck)
      • der end-expiratiorische Okklusionstest (EEXPO): Im Falle eines Volumenbedarfs erhöht sich die Vorlast und damit das Herzzeitvolumen (HZV) bei einer 15 s langen Atempause in der Endexpiration. Der TEst benötigt aber eine CO Messung, da die Anstiege des HZV gering sind
  • Welches Monitoring ist verfügbar?
    • Hat der Patient keine invasive Blutdruckmessung, können das endtidale CO2 oder der Perfusionsindex einen Anhalt zum Vlumenbedarf liefern.
    • Der Passive Leg Raising Test /Trendelenburg Lagerung geht auch mit noninvasiver Blutdruckmessung und EKG.
    • Die Bestimmung des Volumenstatus durch die transösophageale Echokardiographie kann durch diese Tests nochmal verbessert werden.
  • Welche Belastung entsteht durch die Hypervolämie?
    • Ein Flüssigkeitstest /Bolusbelastung sollte nicht wiederholt werden, wenn das Risiko einer kardialen Kompensation nicht gegeben ist.
    • Weitere individuelle Entscheidungssituationen zur Risikoeinschätzung werden ausgeführt:
      • Die Reaktivität auf Katecholamine ist abhängig von kardialen und vaskulären Compliancefaktoren, insbesondere bei Normovolämie wirken Katecholamine besser.
      • Bei verringerter Vorlast durch Hypovolämie wird durch die periphere Vasokonstriktion von Katecholaminen ein synergistischer Effekt zur Volumengabe erzeugt (siehe ganz aktuell CLOVERS-die Studie zur frühen Katecholamin- und restriktiver Volumentherapie).
      • Die Phase des Schocks (s.o.)
      • Das extravasale Lungenwasser in ARDS
      • Der erhöhte intraabdominelle Druck (z.B. bei Ileus oder Darmischämie, Peritonealödem)
      • Der erhöhte ZVD
  • Wie kann ich die Individualisierung der Volumentherapie monitoren:
    • Außerhalb der Intensivüberwachung: Hautdurchblutung/turgor, Kapilläre Reperfusionszeit, Urinausscheidung, Pulskonturanalse, Laktat
    • Auf der Intensivstation mittels Echokardiographie, transpulmonale Thermodilution, Pulmonaliskatheter, gemischtvenöse Sättigung, arteo-venöse CO2-Differenz

Leider erfüllt der Artikel nicht die im Titel geweckten Erwartungen. Die Statements sind nicht sonderlich aktuell, die Ratschläge und Empfehlungen zur individuellen Therapie nur einigermaßen plausibel. Da wir in unserem täglichen Tun die Probleme mit der Anpassung von evidenzbasierten Leitlinien auf den individuellen Fall zur Genüge kennen, hilft uns dieser Artikel nicht. Er konnte vermutlich nur aufgrund der aktuell veröffentlichten CLOVER-Studie unterkommen.

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