Ist ein liberaler Transfusionstrigger in der Herzchirurgie, bei Hüftfrakturen und in der großen abdominellen Tumorchirurgie vorteilhaft?

Br J Anaesth. 2015 Okt;115:511-19 Fominskiy et al.Liberal transfusion strategy improves survival in perioperative but not in critically ill patients. A meta-analysis of randomised trials.

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Die restriktive Transfusionstrategie gilt als bisher für alle Patienten außer der akuten kardialen Ischämie, dem hämorrhagischen Schock und der Massivblutung als gleichwertig beziehungsweise sogar vorteilhafter. Jetzt scheint sich ein Patientenkollektiv herauszukristallisieren, das eher liberal transfundiert werden sollte... 

In einer Metaanalyse aller kontrollierten prospektiven Studien, die eine liberale mit einer restriktiven Transfusionstrategie von 11 021 erwachsenen, perioperativen und intensivmedizinischen ("Critically ill") Patienten aus 27 Studien verglichen, wurde das Überleben innerhalb 90 Tagen analysiert.  Die verwendeten Transfusionstrigger waren allerdings sehr inhomogen: restriktiv von Hb 7g/dl bis 9,7g/dl bzw. Symptomatik versus liberal Hb 8,9 g/dl bis 11,3g/dl. Eingeschlossen wurden Studien an orthopädischen und unfallchirurgischen, herzchirugischen, abdominal tumorchirurgischen Patienten, Patienten mit myokardialer Ischämie vor Katheterisierung, sowie an Intensivpatienten postoperativ, im septischen Schock, mit Schädel-Hirn-Trauma als auch an Patienten mit postpartalen oder akuten gastrointestinalen Blutungen. Transfusionszeitpunkt war intra- oder/und postoperativ  bis 28 Tage oder Entlassung.

Es fand sich für ALLE Patienten kein Unterschied in der Sterblichkeit, ob sie nun restriktiv oder liberal transfundiert wurden(OR 0,96, 95%CI(0,78-1,18)). Untersuchte man aber die Subgruppe der perioperativen Patienten (n=7552 aus 17 Studien) kam man zu einem gerade signifikanten Überlebensvorteil der liberalen Strategie (OR 0,81, CI 0,66-1,0, p=o,o5, NNT=97). Für die "Critically Ill" Subgruppe war ein Vorteil nicht nachzuweisen OR 1,10, CI 0,99-1,23, p=0,07.

Der Unterschied zu bisherigen Meta-Analysen, die durch die große Anzahl von Patienten ohne Vorteil einer Strategie geprägt waren (TRICC (Intensivmedizin), TRISS(Septischem Schock), FOCUS (Orthopädische Chirurgie bei älteren Pat. mit kardiovaskulärer Komorbidität)  und TRACS (elektive Herzchirurgie), wurde in der vorliegenden Arbeit 3 Studien eingeschlossen, die 2015 publiziert waren und einen Vorteil der liberalen Strategie ergaben: Herzchirurgie (Murphy et al NEJM 2015; 372:997-1008), Tumorchirurgie (de Almeida et al Anesthesiology 122:29-38) und bei unfallchirurgischen Hüftfrakturen (Gregersen et al. Acta Orthop 2015; 86:363-72). Besonders die große Anzahl der herzchirurgischen Patienten der Studien von Murphy und Hajjar (zusammen n=2519 von insgesamt 7552) und die Studien mit den Hüftfrakturen (Gregersen und Parker, n=484) hatten in der perioperativen Subgruppe einen erheblichen Anteil am Ergebnis. 

Insgesamt muss man die Ergebnisse sehr vorsichtig interpretieren, weil die Transfusionstrigger, Beobachtungszeiträume und Krankheitsbilder sehr inhomogen sind (in manchen Studien entsprechen die restriktiven Hb-Trigger den Liberalen in anderen Studien) und alle verfügbaren Daten aller Kollektive in einen Topf geschmissen wurden.

Auf der anderen Seite ist aber auch klar, dass ein Rezept für alle nicht wirklich Bestand haben kann, sondern dass es jetzt darum gilt, die Ausnahmen von Krankheitsbildern zu identifizieren, die eben nicht von der restriktiven Strategie profitieren. Große abdominelle Tumorchirurgie und alte gebrechliche Patienten mit einer Schenkelhals oder pertrochantäten und Beckenfraktur gehören wahrscheinlich zu Letzteren.

Zu den Pubmed-Links der Studie http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/?term=liberal+transfusion+fominskiy

T. Frietsch

 

 

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