Liberal versus restriktiv bei akutem Herzinfarkt: REALITY

Ducrocq G. et al. Effect of a Restrictive vs Liberal Blood Transfusion Strategy on Major Cardiovascular Events Among Patients With Acute Myocardial Infarction and Anemia: The REALITY Randomized Clinical Trial. JAMA. 2021;325(6):552-560.

Die französische-spanische multizentrische Studie hatte sich der Frage gestellt, ob ein restriktiver (Hämoglobinkonzentration Hb < 8 g/dl) einem liberalen Transfusionstrigger (Hb 8-10 g/dl) bei akutem Myokardinfarkt und Anämie unterlegen ist.

Patienten, die selbst mit einer milden Anämie > 10 g/dl einen Herzinfarkt erleiden, sterben häufiger als nicht-anämische Erkrankte. Die bisherigen kontrollierten zwei Studien haben nur eine kleine Anzahl von Patienten eingeschlossen (n=45, n= 110) und waren daher wenig belastbar. Die Observationsstudien zu diesem Thema haben widersprüchliche Ergebnisse geliefert. Deshalb war eine großangelegte und kontrollierte Studie notwendig geworden.

Dafür wurden n=668 Patienten in 35 Krankenhäusern in Frankreich und Spanien mit einem enzymatischen Myokardinfarkt vor maximal 48h und einer Anämie von Hb 7-10 g/dl eingeschlossen. Die angestrebten Zielspiegel der Therapie mit leukozytenreduzierten Erythrozytenkonzentraten (EK) waren in der restriktiven Gruppe Hb 8-10g/dl oder in der liberalen Studiengruppe 11g/dl. Diese Spiegel sollten bis zur Entlassung oder für 30 Tage aufrechterhalten werden.

Primäres Studienziel war die Inzidenz von kardiovaskulären Komplikationen und Behandlungsergebnisse nach 30 Tage beziehungsweise nach einem Jahr. Als Behandlungsergebnis ("Outcome") definierten die Autoren Tod oder schwere Herzkreislaufereignisse (MACE), wie zerebraler Insult, myokardialer Reinfarkt und ischämiebedingte notwendige Revaskularisierungen.

Insgesamt wurden 666 Patienten im medianen Altern von 77J (Interquartilenbereich [69-84]) mit kompletten Datensatz eingeschlossen, wovon 281 [42.2%] weiblich waren. Die Hb-Konzentration bei Aufnahme und Randomisierung war in beiden Gruppen restriktiv und liberal jeweils 10,0 bzw. 10,1g/dl und 9,0 bzw. 9,1 g/dl. In der restriktiven Gruppe wurden natürlich nur ca. ein Drittel aller Patienten transfundiert (122 von 342 [35.7%], 342 Einheiten) und in der liberalen Gruppe nahezu alle (324 von 342 [99.7%], 758 Einheiten). In der restriktiven Gruppe wurden demnach über 64% nicht transfundiert. Wenn transfundiert wurde, bekamen die Patienten im Mittel 2,8 Einheiten in beiden Gruppen.

Nach 30 Tagen waren Tod oder schwere Kreislaufereignisse (MACE) bei 36 Patienten in der restriktiven Gruppe (11.0% [95% CI, 7.5%-14.6%]) verglichen mit 45 Patienten (14.0% [95% CI, 10.0%-17.9%]) in der liberal transfundierten Gruppe aufgetreten (difference, −3.0% [95% CI, −8.4%-2.4%]). Das relative Risiko dafür betrug 0.79 (1-sided 97.5% CI, 0.00-1.19) und das Kriterium für die Nicht-Minderwertigkeit der restriktiven Strategie war damit erreicht ("meeting the prespecified non-inferiority criterion"). Im weiteren Einzelvergleich von restriktiver vs. liberaler Strategie trat Tod (durch alle Ursachen) bei 5.6% vs. 7.7% der Patienten ein, Rezidivherzinfarkt bei 2.1% vs. 3.1%, Notfall-Revaskularisation bei 1.5% vs. 1.9% und zerebrale Ischämie bei 0.6% der Patienten in beiden Gruppen gleich.

Die Daten nach einem Jahr stehen noch aus und werden nachgeliefert. Die Autoren diskutieren die Ergebnisse unter dem Vorbehalt der großen Standardabweichungen verhalten. Bei der Bedeutsamkeit der klinischen Komplikationen seien große Standardabweichungen mit schweren Folgeschäden für einige Patienten nur bedingt akzeptabel. Die im Studienprotokoll vordefinierte Größe des Gruppenunterschieds war mit 25% konservativer gewählt als in vergleichbaren Studien. Außerdem sei eine wichtige weitere Einschränkung die unverblindete Transfusionstherapie. Die Verdünnung oder Konzentration als Fehlerquelle der Hämoglobinkonzentration sollte in beiden Gruppen vorhanden sein und wurde in einer Subgruppenanalyse (nach vorbestehender Blutungsneigung oder Anämie, nicht aber nach akuter Herzinsuffizienz und Dekompensation) als irrelevant diskutiert.

Für die Einordnung in die gesamte Literatur zur Transfusionsstrategie ist diese Studie aber eher kohärent und stimmig: Im Sinne "Wir transfundieren aus einem Sicherheitsaspekt noch viel zu freizügig und zu oft - da ist noch Raum nach unten, den aber keiner bisher sicher messen kann" und das auch für die akute Myokardischämie.

Eine vergleichbare, aber auf Überlegenheit angelegte Studie mit größeren Fallzahlen, die MINT trial; NCT02981407, bei akutem Myokardinfarkt können die Zögernden unter uns gerne abwarten.

Pubmed

 

Für Sie gelesen von Th. Frietsch

 

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