Hämoglobinwert als Transfusionstrigger

Harm S, Yazer M. Hämoglobinwert als Transfusiontrigger für Erythrozytenkonzentrate. Hämotherapie 2016, 27 : 4-10

Im beachtenswerten Beitrag von Harm & Yazer in der letzten Ausgabe Hämotherapie findet sich eine eingehende Betrachtung der Diskussion zur liberalen versus restriktiven Transfusionstrategie. Die zugrunde liegenden Studien und die Darstellung der Bedeutung der richtigen Indikationsstellung bei der Gabe von Blutprodukten werden beschrieben. Die wichtigen randomisierten Studien FOCUS, TRICC, TRISS, TRIPICU, MINT, TITRE2, TRACS werden eingehend analysiert und korrekt interpretiert.

Die Autoren aus Pittsburgh und Vermont/USA stellen nachfolgend die Verzerrung durch die Indikationsstellung dar. Auch dieser Aspekt der Datenlage, die fehlerhafte Anwendung der propensity scores und die Verfälschung des Ergebnisses durch die Tatsache, dass die Erkrankungsschwere eben auch mit erhöhter Transfusionsinzidenz vergesellschaftet ist, ist aus meiner Sicht völlig korrekt abgehandelt und unbestreitbar.

Sie sind aber in dem Punkt, dass es keine besseren Daten gibt, nicht klar genug: Der Verdacht, dass Übertransfusion durch ein liberales Transfusionsregime den meisten Patienten schadet, ist auch trotz dieses BIAS nicht ausgeräumt.

Noch weiterhin bedeutsame Punkte aber werden nicht behandelt: Die Vergleiche zwischen liberalem und restriktivem Transfusionstrigger sind innerhalb der zur Verfügung stehenden Studien extrem heterogen und überlappen sich weiträumig. Was in der einen Studie liberal ist, ist in der anderen bereits restriktiv.

Ein bisher gänzlich unbeachteter klinischer Behandlungsaspekt aber ist, dass in keiner der Studien der Volumenstatus der Patienten gemessen oder kontrolliert worden ist. Der Hämoglobinwert ist extrem abhängig vom Volumenstatus und gerade beim Intensivpatienten, kardial kompromittierten oder älteren Kranken variiert er um bis zu 2g/dl, je nach „Füllzustand“. Volumenüberladung und Exsikkose führen ihrerseits zu Komplikationen, auch ohne Bluttransfusionen. Insofern ist es gerade beim untersuchten Kollektiv wichtig, dass ein entsprechendes Monitoring des Volumenstatus angewandt wird. Ergebnisse, die eine Normovolämie voraussetzen, aber nicht messen sind extrem unverlässlich. Auch erfahrene Kliniker verschätzen sich regelhaft, wenn sie sich an keinem oder herkömmlichen Druckparametern (Zentraler Venendruck) anstatt an Pulskontur oder ultraschallbasierten Monitoringparametern orientieren (Osman, Ridel et al. Crit Care Med. 2007 Jan;35(1):64-8; Marik PE, Monnet X, Teboul JL. Ann Intensive Care. 2011 Mar 21;1(1):1). 

Bei diesem guten und wichtigen Artikel sind somit Aspekte ungenannt geblieben, die die Interpretation der Datenlage weiter erschweren und verhindern, dass zukünftig gute Studien zu dem wichtigen Thema designed werden. 

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Rezensiert von Thomas Frietsch

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