Amerikanische Empfehlungen zur Hämotherapie auf der Intensivstation

Crit Care Med 2009; 37 (12): 3124-3157 Napolitano LM et al. Clinical practice guideline: Red blood cell transfusion in adult trauma and critical care.

Was ist evidenzbasiert in der Hämotherapie kritisch-Kranker? Dieser Artikel räumt mit einigen Vorteilen auf:

Auf der Grundlage der Quellenstudien aus verschiedenen Patientenkollektiven (TRICC 1999- Canada-Hebert PC et al., prospektive RCT, n =  5298; CRIT 2004- USA, Corwin HL et al, prospektive Kohorte, n = 4892 ; SOAP-2008, Vincent JL, Europa, prospektive Kohorte, n = 3147; ABC 2002-Westeuropa, Vincent JL, prospektive Kohorte, n = 3534; ATICS 2004 -UK, Walsh TS, prospektive Kohorte n = 1023) gibt diese Zusammenfassung Empfehlungen nach Empfehlungsgrad (E) 13 (sehr verlässlich bis schwach) zu der Gabe von Erythrozytenkonzentraten in verschiedenen kritischen Zuständen. Für andere Indikationen (z.B. Sepsis) wurden auch andere aussagekräftige Studien genommen. Damit  wird der Versuch unternommen, situative Empfehlungen anstatt produktorientierte Richtlinien zu geben. Trotz allem wurde auch hier bestätigt: Unabhängig von einer bestimmten Indikation sind Fremdbluttransfusionen mit einer erhöhten Gefahr der postoperativen bakteriellen Infektion, das Multiorganversagen und inflammatorisch-septische Komplukationen (SIRS) verbunden (alle Empfehlungsgrad 2).

  • Im hämorrhagischen Schock und der aktiven, sichtbaren Blutung ist die Behandlung mit EK empfohlen, wenn die Blutung andauert, mit einer hämodynamischen Instabilität oder einem  inadäquaten Sauerstoffangebot (gemessen an Laktat oder Basenüberschuss) verbunden ist oder sich nicht auf die Volumensubstitution bessert (Empfehlungsgrad 1).

•          Bei beatmeten Patienten, im Lungenversagen als auch insbesondere in der Weaningphase ist eine Anhebung der Hämoglobinspiegels über 7-8 g/dl nicht empfohlen (Empfehlungsgrad 2). Beim Vergleich von liberalen (Hb 9 – 10g/dl) und restriktiven (Hb 7 - 8 g/dl) Interventionsstrategien finden sich in den Subgruppen der beatmeten Patienten entweder keinerlei Unterschiede (TRICC) oder eine erhöhte Mortalität (17,2% vs. 4,5%), eine verlängerte Verweildauer im Krankenhaus (15 vs. 10 Tage) als auch auf Intensivstation (9 vs. 4 Tage) bei der liberal transfundierten Subgruppe. Eine Unterstützung des Weanings durch Erythrozytentransfusion ist nicht evidenzbasiert .

•          Die Gabe von Doppeleinheiten ist außer in der unkontrollierten Massenblutung oder dem schweren hämorrhagischen Schock nicht empfohlen (Empfehlungsgrad 1). Die Anhebung auf liberale Hämoglobinspiegel  und die unnötige Exposition mit Fremdbluteinheiten wird somit vermieden,  da die Mortalität mit dem Transfusionsvolumen ansteigt.

•          Beim traumatischen Blutverlust unterscheidet sich die empfohlene Therapie mit EK nicht von den Transfusionstriggern des restriktiven Regimes bei kreislaufstabilen Intensivpatienten (Empfehlungsgrad 2). Wird dies nicht beachtet, ist eine Erhöhung der Wundinfektionsrate als auch der Peumonie- und Sepsisrate und eine erhöhte Inzidenz von SIRS (Systemic Inflammation Response Syndrome) und des Multiorganversagens (MOV) zu befürchten (Empfehlungsgrad 2) .

•          In der Sepsis sind keine evidenzbasierten Transfusionstrigger bekannt , hier ist die individuelle Abwägung empfohlen. Es gibt keine hinreichende Beweise für die Erhöhung der Gewebeoxigenierung durch EKs in der Sepsis  (Empfehlungsgrad 2). In der Metaanalyse von zahlreichen Studien fand sich nur manchmal eine Erhöhung des Sauerstoffangebots und nie eine Verbesserung der Gewebehypoxie (gemessen am Laktat).

•          Die Hämotherapie mit EK im Schädel-Hirn-Trauma oder bei zerebraler Ischämie unterscheidet sich nicht von den restriktiven Transfusionstriggern (Empfehlungsgrad 2). In der Subgruppe der Patienten mit Hinverletzungen in der TRICC-Studie waren Mortalität, MOV und Verweildauer auf der Intensivstation nicht unterschiedlich, ob restriktiv oder liberal transfundiert wurde. Bei einer Subduralblutung muss die individuelle Entscheidung anheimgestellt werden, da keine Evidenz für eine Verbesserung des Outcome durch Transfusion in dieser Indikation zu finden ist (Empfehlungsgrad 3).

•          Im akuten Koronarsyndrom (ACS) und Myokardinfarkt (MI) war die Mortalität in einer Studie von WU et al. unterhalb einem Hb von 8g//dl erniedrigt , während sie über 12 g/dl erhöht war. Auch in der Subgruppenanalyse der Patienten mit ischämischer Herzerkrankung der TRICC-Studie waren signifikant mehr Myokardinfarkte bei der liberalen Strategie aufgetreten. Hinsichtlich der Mortalität war die Subgruppe der KHK-Patienten nicht groß genug. Wenn die 6- Monatsüberlebensrate bei Myokardinfarkten betrachtet wurde, war der Hb Nadir 8 g/dl. Darunter vs. darüber war die Mortalität 28,1 vs. 11,7%.

Es wird angesichts dieser Leitlinien für die amerikanischen und kanadischen Intensivmediziner deutlich, dass wir wenig Evidenz haben, dass aber vermutlich öfter als in allen eindeutig evidenzbasierten Indikationen zur Erythrozytengabe im Zweifel zur Transfusion gegriffen wird. Der Kliniker meint sich damit eher auf der sicheren Seite zu bewegen und verursacht damit aber mehr Schaden als wenn er nicht aktiv geworden wäre. Das ist vermutlich in Deutschland auch ähnlich.

T. Frietsch, Marburg

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