Was ist evidenzbasiert in der Hämotherapie kritisch-Kranker? Dieser Artikel räumt mit einigen Vorteilen auf:
Auf der Grundlage der Quellenstudien aus verschiedenen
Patientenkollektiven (TRICC 1999- Canada-Hebert PC et al., prospektive RCT, n = 5298; CRIT 2004- USA, Corwin HL et al, prospektive Kohorte, n = 4892 ;
SOAP-2008, Vincent JL, Europa, prospektive Kohorte, n = 3147; ABC 2002-Westeuropa, Vincent JL, prospektive Kohorte, n = 3534;
ATICS 2004 -UK, Walsh TS, prospektive Kohorte n = 1023) gibt diese Zusammenfassung Empfehlungen nach Empfehlungsgrad (E) 1 – 3 (sehr
verlässlich bis schwach) zu der Gabe von Erythrozytenkonzentraten in
verschiedenen kritischen Zuständen. Für andere Indikationen (z.B. Sepsis) wurden auch andere aussagekräftige Studien genommen. Damit
wird der Versuch unternommen, situative Empfehlungen anstatt
produktorientierte Richtlinien zu geben. Trotz allem wurde auch hier bestätigt: Unabhängig von einer bestimmten Indikation sind Fremdbluttransfusionen mit einer erhöhten Gefahr der postoperativen bakteriellen Infektion, das Multiorganversagen und inflammatorisch-septische Komplukationen (SIRS) verbunden (alle Empfehlungsgrad 2).
- Im hämorrhagischen Schock und der aktiven,
sichtbaren Blutung ist die Behandlung mit EK empfohlen, wenn die Blutung andauert, mit einer hämodynamischen
Instabilität oder einem inadäquaten
Sauerstoffangebot (gemessen an Laktat oder Basenüberschuss) verbunden ist oder
sich nicht auf die Volumensubstitution bessert (Empfehlungsgrad 1).
•
Bei beatmeten Patienten, im Lungenversagen als
auch insbesondere in der Weaningphase ist eine Anhebung der Hämoglobinspiegels
über 7-8 g/dl nicht empfohlen (Empfehlungsgrad
2). Beim Vergleich von liberalen (Hb 9 – 10g/dl) und restriktiven (Hb 7 - 8
g/dl) Interventionsstrategien finden sich in den Subgruppen der beatmeten
Patienten entweder keinerlei Unterschiede (TRICC) oder eine erhöhte Mortalität
(17,2% vs. 4,5%), eine verlängerte Verweildauer im Krankenhaus (15 vs. 10 Tage)
als auch auf Intensivstation (9 vs. 4 Tage) bei der liberal transfundierten
Subgruppe. Eine Unterstützung des Weanings durch Erythrozytentransfusion ist
nicht evidenzbasiert .
•
Die Gabe von Doppeleinheiten ist außer in der
unkontrollierten Massenblutung oder dem schweren hämorrhagischen Schock nicht
empfohlen (Empfehlungsgrad 1). Die
Anhebung auf liberale Hämoglobinspiegel
und die unnötige Exposition mit Fremdbluteinheiten wird somit
vermieden, da die Mortalität mit dem
Transfusionsvolumen ansteigt.
•
Beim traumatischen Blutverlust unterscheidet
sich die empfohlene Therapie mit EK nicht von den Transfusionstriggern des restriktiven Regimes bei kreislaufstabilen
Intensivpatienten (Empfehlungsgrad 2).
Wird dies nicht beachtet, ist eine Erhöhung der Wundinfektionsrate als auch der
Peumonie- und Sepsisrate und eine erhöhte Inzidenz von SIRS (Systemic
Inflammation Response Syndrome) und des Multiorganversagens (MOV) zu befürchten
(Empfehlungsgrad 2) .
•
In der Sepsis sind keine evidenzbasierten
Transfusionstrigger bekannt , hier ist die individuelle Abwägung empfohlen. Es
gibt keine hinreichende Beweise für die Erhöhung der Gewebeoxigenierung durch
EKs in der Sepsis (Empfehlungsgrad 2). In der Metaanalyse von zahlreichen Studien
fand sich nur manchmal eine Erhöhung des Sauerstoffangebots und nie eine
Verbesserung der Gewebehypoxie (gemessen am Laktat).
•
Die Hämotherapie mit EK im Schädel-Hirn-Trauma
oder bei zerebraler Ischämie unterscheidet sich nicht von den
restriktiven Transfusionstriggern
(Empfehlungsgrad 2). In der Subgruppe der Patienten mit Hinverletzungen in
der TRICC-Studie waren Mortalität, MOV und Verweildauer auf der Intensivstation
nicht unterschiedlich, ob restriktiv oder liberal transfundiert wurde. Bei
einer Subduralblutung muss die individuelle Entscheidung anheimgestellt werden,
da keine Evidenz für eine Verbesserung des Outcome durch Transfusion in dieser
Indikation zu finden ist (Empfehlungsgrad
3).
•
Im akuten
Koronarsyndrom (ACS) und Myokardinfarkt (MI) war die Mortalität in einer Studie
von WU et al. unterhalb einem Hb von 8g//dl erniedrigt , während sie über 12
g/dl erhöht war. Auch in der Subgruppenanalyse der Patienten mit ischämischer
Herzerkrankung der TRICC-Studie waren signifikant mehr Myokardinfarkte bei der
liberalen Strategie aufgetreten. Hinsichtlich der Mortalität war die Subgruppe
der KHK-Patienten nicht groß genug. Wenn die 6- Monatsüberlebensrate bei
Myokardinfarkten betrachtet wurde, war der Hb Nadir 8 g/dl. Darunter vs. darüber war die Mortalität 28,1 vs. 11,7%.
Es wird angesichts dieser Leitlinien für die amerikanischen und kanadischen Intensivmediziner deutlich, dass wir wenig Evidenz haben, dass aber vermutlich öfter als in allen eindeutig evidenzbasierten Indikationen zur Erythrozytengabe im Zweifel zur Transfusion gegriffen wird. Der Kliniker meint sich damit eher auf der sicheren Seite zu bewegen und verursacht damit aber mehr Schaden als wenn er nicht aktiv geworden wäre. Das ist vermutlich in Deutschland auch ähnlich.
T. Frietsch, Marburg