Nebenwirkungen des Rekonvaleszentenplasma (RKP)

Joyner MJ, et al. Early Safety Indicators of COVID-19 Convalescent Plasma in 5,000 Patients. J Clin Invest. 2020 Jun 11;140200. doi: 10.1172/JCI140200.

Eine prospektive randomisierte Studie zur Effektivität und Sicherheit von RKP ist zwar als Phase II Zulassungsstudie am Columbia University Irving Medical Center in New York, USA in der Rekrutierungsphase (siehe Protokoll in Trials, Pubmed), aber die FDA hat eine internetbasierte Anwendungsmeldung in den USA eingerichtet, bei der die RKP Anwendungen gemeldet werden sollen. Seit Anfang April sind mittlerweile 20 000 Anwendungen erfolgt. Aus den ersten 5000 Patienten wurde eine retrospektive Studie als Analyse dieser FDA Meldungen (Datenbank für COVID-19-Rekonvaleszenenplasma aus einem "Expanded Access Programm") von Autoren der Majo Kliniken durchgeführt, die jetzt bereits als im Begutachtungsprozess befindliche Vorabveröffentlichung im Journal of Clinical Investigations erschienen ist (Zur aktuellen FDA Seite mit Safety Reports zum RKP) und das Update der 20 000 in den Mayo Clinics Proceedings.

Von ca. 14 300 Patienten mit prognostiziertem schwerem Verlauf in den Vereinigten Staaten bekamen knapp 9 000 in den ersten 5 Wochen eine Therapie mit RKP. Unter den ersten 5000 Patienten im April bis zur ersten Maiwoche 2020 waren 63% Männer, das Durchschnittsalter war 62 Jahre (18 – 97 years). Von den eingeschlossenen Patienten litten 72% unter respiratorischer Insuffizienz, 63% unter Dyspnoe, 62% Desaturation unter einer SpO2 ≤ 93%, 43% unter radiologischer Infiltration bei mehr als der Hälfte der Lunge (innerhalb 24-28h nach Einschluss in die Studie), 38% unter Tachypnoe ≥30/Minute, 34% Horowitz Index (Verhältnis des Sauerstoffpartialdrucks zur Fraktion des inspiratorischen Sauerstoffs) <300, 18% unter multiplem Organversagen und 15% unter septischem Schock.

Warum in der initialen Analyse nur 5000 von knapp 9000 Patienten im Register ausgewählt wurden, ist nicht angegeben. Leider enthält die Pre-Print-Publikation wenig Angaben zur Dosis und Applikationsweise/Frequenz. Zwar sind auf der Informationsseite alle Studien zum Rekonvaleszentenplasma gelistet und die Studienprotokolle einsehbar (zur Webseite), aber die retrospektive Analyse spricht lediglich von ABO Kompatibilität. RKP wurde nach einrichtungsabhängigen Leitlinien in einem Volumenbereich von 200-500ml gegeben. Dem Register der ClinicalTrials-Datenbank war zu entnehmen, dass es sich hier um die Applikation einer Einzeleinheit RKP handelt. Es ist anzunehmen, dass Einzelanwendungen (einem Heilversuch in Deutschland entsprechend) außerhalb einer Studie in den USA nicht praktiziert wird. Ob in allen Studien das RKP blutgruppenkonform oder nur -kompatibel verabreicht wurde und in welcher Geschwindigkeit und Infusionsrate, war nicht in Erfahrung zu bringen (vielleicht nach dem Peer Review Prozess), vermutlich ist es aber auch nicht in allen Studien gleich vorgesehen. Über die Qualitätskontrollen des Plasma und die AK-Titer, die Spender und die Quarantäneperiode ist ebenfalls nichts bekannt, außer dass für das verwendete RKP keine minimalen neutralisierenden AK-Titer festgelegt wurden.

Schwere Arzneimittelwirkungen (serious adverse events (SAEs)) traten in weniger als 1% (n=36(?)) aller Patienten und Verabreichungen in den ersten 4h nach Transfusion auf. Die Mortalität betrug 0.3% (n=4(?)). Transfusions-assoziierte Kreislaufüberlastung (TACO; n=7), transfusionsbezogener Lungenschaden (TRALI; n=11) und schwere allergische Transfusionsreaktionen (n=3) waren dem RKP vom behandelnden Arzt als "wahrscheinlich" oder "möglicherweise" und 2 von 36 SAEs als "definitiv" zugeordnet worden. Die 7 Tages-Sterblichkeit im Kollektiv war 14.9% (ohne Vergleich).

Diese Vorabveröffentlichung lässt leider aufgrund der mangelhaften Manuskriptqualität so gut wie keine verlässlichen Schlüsse über die Risiken der RKP Anwendung zu. Der Zytokinsturm als eine der gefährlichsten und noch nicht ausreichend berichtete/untersuchte potenziellen Wirkung des RKP ist gar nicht berichtet. Die relativen Angaben im Manuskript und die verwendeten Risikoschätzer sind beim Nachrechnen nicht plausibel. Mittlerweile sind die aktuellen Zahlen auch noch geändert: Laut der aktuellen Webseite des FDA Safety Report ist die Mortalität der schwer Erkrankten und hospitalisierten COVID-19-Erkrankten von 12% (oder 14,9%) auf 8,6% gesunken. Die SAEs sind weiterhin unter 1%, was in den USA in Anbetracht des dortigen Pandemieausmaßes und der Sterblichkeit von den Autoren als vertretbar dargestellt wird.

Was wir aber hierzulande meiner Ansicht nach dringend fordern müssen ist, dass in Anbetracht niedriger Mortalitätsraten unter schweren COVID-19-Erkrankungen die unerwünschten Arzneimittelwirkungen des RKP ganz kritisch betrachtet werden müssen. Eine Vergleichbarkeit zur Anwendung von normalem Gefrierplasma bei gerinnungsinkompetenten Patienten ist definitiv nicht gegeben. Es ist unbedingt zu fordern, dass die existierenden Studien und Daten aller Einzelanwendungen zusammengeführt und analysiert werden müssen, ähnlich der Vorgehensweise der FDA. Das Paul-Ehrlich Institut hat sich dieser Aufgabe, unserer Kenntnis nach, nur zum Teil verschrieben. Die IAKH hat eine entsprechende Umfrage (siehe offener Brief) zu den Anwendungen von RKP gestartet, mit dem Ziel die Kommunikation unter den Anwendern und den Analysten zu erleichtern.

Dieser Artikel bekräftigt die Notwendigkeit der IAKH Initiative. Nehmen Sie teil und beteiligen Sie sich als RKP-Anwender an der Umfrage (email - Anmeldung, Betreff "RKP") und Diskussion im Forum.

 

Pubmed

Access free

 

Für Sie gelesen von Th. Frietsch

Zurück