Ein Beispiel eines erfolgreichen Blood Management Algorithmus aus Leeds, England

Kotzé A, Carter LA, Scally AJ. Effect of a patient blood management programme on preoperative anaemia, transfusion rate, and outcome after primary hip or knee arthroplasty: a quality improvement cycle. Br J Anaesth. 2012 Jun;108(6):943-52.

Die Bedeutung der präoperativen Anämie (Prävalenz von 24,3%- 166 von 684 Patienten) für das Outcome ihrer orthopädischen Implantationsprothetik haben die Autoren als retrospektive Datenbankanalyse ermittelt: bei anämischen Patienten war der Transfusionsbedarf erhöht, dieser stigerte die Gefahr der Wiederaufnahme innerhalb von 30 Tagen. Die Verweildauer im Krankenhaus war um 0,7 Tage pro präoperativ mangelnder g/dl Hämoglobinkonzentration verlängert. Die nächsten 300 Patienten behandelten die Autoren gemäß eines maßgeschneiderten Algorithmus mit oralem oder intravenösen Eisen, Erythropoetin (EPO) und Eisen. Dadurch senkten sie die Prävalenz der präoperativen Anämie auf 10,3% als auch den intraoperativen Hb-Abfall bei der Hüft/Knieprothesenimplantation um 0,7/0,5g/dl. Der Transfusionsbedarf sank von 23 auf 8% bei der Hüftchirurgie und von 7% auf 0% bei der Knieendoprothetik. 126 Erythrozytenkonzentrate und einen ganzen Tag Verweildauer konnten eingespart werden. Ebenso war die Wiederaufnahmerate um 3-5% gesenkt worden. Die Materialkosten des Programms entstanden hauptsächlich durch die EPO- und Eisentherapie und wurden bis auf ca. 4000 Pfund durch die Einsparung der teuren Erythrozyten gesenkt. Zusammen mit dem verbesserten Outcome, den geringeren Wiederaufnahmen und der verkürzten Verweildauer dürfte sich das Programm in England auch anderswo als rentabel erweisen. 
In Deutschland ist die präoperative Korrektur der Anämie selten üblich, vermutlich weil die entgegenzusetzenden Sachkosten durch unsere vergleichsweise niedrigen Einkaufspreise für Erythrozytenkonzentrate zu gering sind und sich ein solches Vorgehen bei oberflächlicher kaufmännischer Betrachtungsweise nicht rechnet.
Da aber wahrscheinlich ist, dass auch in Deutschland ähnliche Inzidenzen (25-30%!) nicht nur im orthopädischen Patientenkollektiv auftauchen und ein solches Programm in gleicher Weise die Mortalität und die Komplikationsrate erheblich senken, die Behandlungsqualität wesentlich steigern, Engpässe bei der Blutversorgung vermeiden und die Gesamtkosten im Gesundheitswesen deutlich senken kann, ist unklar warum sich die ärztliche Einschätzung nicht gegen die kaufmännische durchsetzt. Das interdisziplinäre Konzept des „Patient Blood Management“ hat es in Deutschland gerade mal in einige Kongressforen und Internetpräsentationen geschafft, ohne dass es meines Wissens irgendwo in namhaften Umfang praktiziert wird. Einzelne Zentren (z.B. Garmisch-Partenkirchen, Endoklinik Hamburg) führen vorsichtige Anwendungsbeobachtungen durch. Warum ist das deutsche Gesundheitswesen, sind deutsche Ärzte so zögerlich, wenn es um das Wohlergehen ihrer Patienten geht und auch hierzulande Krankenhausverweildauer und Komplikationsrate zunehmend wettbewerbsbestimmend sind? Eine mögliche Antwort habe ich in Journal Club AINS 2012; 1: 35 gegeben.

Insgesamt ein überzeugender und lesenswerter Artikel.

T. Frietsch

 

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