Perioperative Thrombozytopenie

Lombard FW et al. Perioperative thrombocytopenia. Curr Opin Anaesthesiol. 2021 Jun 1;34(3):335-344. doi: 10.1097/ACO.0000000000000999.

Nach der tollen allgemeinen Übersicht über die Thrombozytentransfusion von Nagrebetzki et al im New Engl J Med 2019 ist jetzt eine Übersicht erschienen, die vor allem die perioperative Thrombozytopenie und die damit verbundenen Evidenzen beleuchtet.
Vor elektiven (nicht-herzchirurgischen) operativen Eingriffen hatten in den aktuellsten amerikanischen Analysen 8,1% der Patienten (n=3,9 Mio) eine Thrombozytopenie (<150 000/µl). Unabhängig vom Ausmaß und Schweregrad der Thrombopenie (TP) war der Transfusionsbedarf und die 31-Tage-Mortalität erhöht, aber natürlich ausgeprägter je niedriger die Thrombozytenzahl (PLT) (Weil IA, Kumar P, Seicean S, et al. Platelet count abnormalities and peri operative outcomes in adults undergoing elective, noncardiac surgery. PLoS One 2019; 14:e0212191).
Die milde Thrombopenie (PLT von 100-149 000/µl) war mit einem nur leicht (RR 1,2 (1,1-1,2)) erhöhten Risiko transfundiert zu werden verbunden, mittelschwere TP (75-99 000/µl) schon mehr (RR 1,4 (1,3-1,5)), schwere TP (PLT von 50-74 000/µl) dagegen deutlich (RR 1,5 (1,2-1,7)) und bei kritisch thrombopenen Patienten (PLT von <50 000/µl) erheblich bis zu 60% (RR 1,6 (1,4-1,9)). Das Risiko innerhalb der ersten 31 Tage im Krankenhaus zu versterben rangierte von 20% bis 90% Erhöhung bei milder bis kritischer Thrombopenie.

Wird die Thrombopenie erst im Krankenhaus beispielsweise durch die Herz-Lungen-Maschine in der Herzchirurgie hervorgerufen, ist das Risiko für Nierenversagen und Mortalität ebenso erhöht bis maximal dem 5,5-fachen bei kritischer Thrombopenie (aHR (adjusted hazard ratio) 5,46; 95% CI, 3.79 – 7.89; P<0.0001) (Kertai MD, Zhou S, Karhausen JA, et al. Platelet counts, acute kidney injury, and mortality after coronary artery bypass grafting surgery. Anesthesiology 2016; 124:339 – 352).

Die Pathogenese der Thrombozytopenie ist in einer schönen und übersichtlichen Tabelle 1 geordnet nach iatrogen oder krankheitsbedingt untergliedert nach dem Missverhältnis zwischen Verbrauch und Produktion aufgeführt. Im Begleittext wird auf besondere Formen wie die Entstehung der TP bei Sepsis, DIC, Lebererkrankung, Covid-19, HIT, Schwangerschaft und nach Herzchirurgie eingegangen.

Ebenso graphisch ansprechend ist ein Flussdiagramm zur Differentialdiagnose der Thrombozytopenie. Eine weitere und klinisch extrem wichtige Tabelle ist zur Eingrenzung der Wahrscheinlichkeit (4T-HIT) (Lo et al., Thromb Haemostas 2006; 4:759-65). Ob diese in der deutschen Praxis so gut genutzt wird, muss bezweifelt werden. Besteht der Verdacht auf eine Heparin-induzierte Thrombopenie HIT und ist eine Pseudothrombopenie ausgeschlossen, ist nicht immer gleich eine teure weiterführende Diagnostik mit ELISA-Test und HIPAA (ausgewählte aktuelle Literatur zum HIPAA) indiziert. Viel zu selten werden vorher relevante anamnestische Informationen erhoben und dem Laborarzt übermittelt. Wir haben deshalb zur nochmaligen Erinnerung eine deutsche Tabelle vom Uniklinikum in Homburg (Saarland) verlinkt; auf der gleichen Seite ist auch nochmalig eine Anleitung zur Anwendung zu finden. Ab einem Score von >4 ist eine weiterführende Diagnostik sinnvoll.

Beim perioperativen Management der TP wird dann im wesentlichen von den Transfusionstriggern berichtet, die auch in den Querschnittsleitlinien Hämotherapie 2020 der BÄK nicht anders angegeben sind und die man gemeinhin auch so präsent hat. Dazu hatten wir 2019 auch eine sehr gute Übersicht zu Evidenz und Praxis der Thrombozytentransfusion von Nagrebetsky A et al. rezensiert (zur IAKH Literaturrezension).

Outcome/Verträglichkeit: Für eine prophylaktische Thrombozytentransfusion fehlt jede Evidenz, zumal die unerwünschten Wirkungen als weder trivial noch selten bezeichnet werden können. Die Transfusion von TKs ist gemäß einer kürzlichen Literaturrecherche (Levy JH, Rossaint R, Zacharowski K, et al. What is the evidence for platelet transfusion in perioperative settings? Vox Sang 2017; 112:704 – 712) mit einer verlängerten Krankenhausverweildauer, der Notwendigkeit der postoperativen Beatmung und eine erhöhten Infektionsrate assoziiert. Speziell für die Herzchirugie scheint der Effekt in den größeren Risiken unterzugehen (Yanagawa B, Ribeiro R, Lee J, et al. Platelet transfusion in cardiac surgery: a systematic review and meta-analysis. Ann Thorac Surg 2021; 111:607 – 614). Bei hohem Thrombozytenverbrauch scheint die Thombosegefahr durch die Transfusion von TK gegenüber keiner Transfusion erhöht zu sein; etwa bei HIT (6.9% vs. 3.1%, adj.OR 1⁄4 3.4, 95% CI 1⁄4 1.2 – 9.5) oder thrombotisch-thombozytopenische Purpura TTP (1.8% vs. 0.4%, adj.OR 1⁄4 5.8, 95% CI 1⁄4 1.3 – 26.6). Der Artikel geht nur kurz und unbefriedigend auf das Problem der Refraktärität ein - dem ausbleibenden Effekt der Transfusion aufgrund immunologischer Mechanismen vor allem der hämatologischen Patienten (bei diesen bis zu 14%), aufgrund eines erhöhten Verbrauchs (z.B. Hypersplenismus; DIC, Sepsis).

Präoperative Steroidverabreichungen erhöhen die Thrombozytenzahl bei Patienten mit idiopathischer Thrombozytopenie (ITP). Die empfohlenen Dosen sind 40mg Dexamethason täglich über 4 Tage oder 1mg/kg/die Prednisolon über 14 Tage. Dadurch können Blutungen reduziert werden und innerhalb von 2-5 Tagen ein Anstieg der Thrombozytenzahl bewirkt werden (Peak von 7-28 Tagen) (Mithoovani et al. 2016). Bei dringenden Operationen können auch Immunglobuline (IVIG- 1mG/KG) innerhalb 24-48h zum Anstieg der Thrombozytenzahlen führen. Die angegebene Dosierung unterscheidet sich in dieser Übersicht von den in den Querschnittsleitlinien erwähnten Verwabreichungsschemata (s. Kap. 8.1.5.4.1.): Dort wird IvIg 0,8 bis 1,0 g/kg KG am Tag 1, einmalige Wiederholung innerhalb von 3 Tagen oder 0,4 g/kg KG an 2 bis 5 aufeinanderfolgenden Tagen empfohlen.

Thrombopoese stimulierende Präparate (Thrombopoetin-Rezeptor-Analoga TRA) besonders bei hereditären Thrombopenien bewirken innerhalb von 5 Tagen einen Anstieg um ca. 50 000 PLT (Peak 12-14 Tage). Verfügbar sind auch in Deutschland Avatrombopag und Eltrombopag per os (letzteres auch als Saft), Romiplostin s.c., nicht aber die im Artikel erwähnte i.v. Applikation. Gemäß einer aktuellen Übersicht können intravenös verabreichte und korrekt dosierte TRA effektiv das Transfusionsrisiko und das Blutungsrisiko senken ohne zu einer erhöhten Thromboserate zu führen (Lindquist I, Olson SR, Li A, et al. The efficacy and safety of thrombopoietin receptor agonists in patients with chronic liver disease undergoing elective procedures: a systematic review and meta-analysis. Platelets 2021; 1 – 7).

Monoklonale Antikörper wie Caplacizumab und Eculizumab sind derzeit in amerikanischen Zulassungsstudien mit der gleichen Indikation in Erprobung.

Für die intraoperativen Optionen sind die auch in Deutschland üblichen aufgeführt: DDAVP/Minirin zur Erhöhung des vWF-Spiegels, Tranexamsäure zur Plasminogenaktivierung, Firbinogenkonzentrat, Prothrombinkomplex ("PPSB") bis hin zu rF VIIa werden diskutiert und die Evidenz belegt.

Insgesamt eine aktuelle und gelungene Übersicht für die perioperative Betreuung von Patienten mit Thrombopenie.

 
 
Für Sie gelesen von Th. Frietsch
 

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