Thrombozytenreagibilität unter COVID-19 gesteigert

Manne BK et al. Platelet Gene Expression and Function in COVID-19 Patients. Blood 2020 Jun 23;blood.2020007214. doi: 10.1182/blood.2020007214.

Die Covid-19-Koagulopathie und deren thrombotische Komplikationen ist Gegenstand zahlreicher Publikationen. Sie ist für die Erkrankung bedeutsam, weil sie über eine immunologisch-bedingte Aktivierung des Gerinnungssystems durch entstehende Thromboembolien zur Verschlechterung des Outcomes, zur Sterblichkeit und Folgeschäden beiträgt. Ihre Erforschung in allen Aspekten ihrer bislang ungeklärten Komplexität ist deshalb von großer Wichtigkeit.

Wir hatten kürzlich auf die Beschreibung der Endothelitis und NETosis hingewiesen, die RC Becker aktuell als Zusammenfassung veröffentlichte. Die Interaktion von Lymphozyten, Histiozyten und Thrombozyten ist Bestandteil vieler Infektionen und führt zur "Immun-Thrombozytose". Die Freisetzung von DNA-Bruchstücken und Chromatinen aus Virus und neutrophilen Granulozyten mit erheblicher Aktivierung der Thrombozyten scheint bei Covid-19 besonders ausgeprägt zu sein. 

Ein Forscherteam aus Salt Lake City in Utah hat nun die Genexpression und die Funktion der Thrombozyten einer prospektiven  Covid-19-Patienten-Kohorte (n=44) untersucht und diese mit gesunden Freiwilligen verglichen. Alle Patienten waren stationär, symptomatisch und innerhalb von 72h eingeschlossen worden. Die Vergleichspatienten waren gesunde Blutspender (n=17) .  Ein schwerer Krankheitsverlauf mit höherem Anteil an organischen Folgeschäden (SOFA-Score 4,7 vs. 1,8) und ARDS trat bei 17 der 44 Patienten auf- sie unterschieden sich vom Rest durch ihr Alter (63 Jahre vs. 45J.), dem höheren Anteil der Diabetespatienten (65% vs. 25%), ARDS (94% vs. 8%), künstlicher Beatmung (53% vs. 0%) und einer höheren Sterblichkeit (35,3% vs. 0%).

Die RNA Genexpression der Covid-19-Intensivpatienten und der  stationären Covid-19 (-nicht-Intensivpflichtigen) Patienten unterschied sich bei 2256 Genen bzw. 3090 Genen vom Genom der gesunden Spender, während sich das RNA-Genom der Thrombozyten schwer-erkrankter Covid-19 Patienten und nicht so schwer Erkrankter nur in 16 Genen unterschied. Die Gene wurden mit einer Pathway-Analyse der Proteinubiquitinierung (Aktivitätsänderungsvorgang von Proteinen durch enzymatische Kopplung), der Antigenpräsentierung und der gestörten mitochondrialen Energiebereitstellung bei Covid-19-Erkrankten in Verbindung gebracht. Die Covid-19-Thrombozyten wiesen zwar vermehrt Sauerstoffradikale, aber keine erhöhte Apoptosebereitschaft (beurteilt anhand des basalen Phosphatidylseringehalts) auf. Die Veränderung des Thrombozytengenoms waren zwar in einigen Aspekten denen bei der Sepsis und der H1N1-Influenza ähnlich, unterschieden sich aber vor allem bei Pathways der Immunregulation und Antigenpräsentation. 

Die RNA für den ACE2 Rezeptor, die Eintrittsstelle für das Covid-19-Virus, wurde nicht bei Thrombozyten der Gesunden und Erkrankten nachgewiesen. Trotzdem liess sich das Virusgen "SARS-CoV-2 N1" bei 2 von 25 COVID-19 Patienten nachweisen, was bedeutet, dass Thrombozyten das Virus unabhängig von ACE2- Rezeptor aufnehmen können. Allerdings mislang der Virusnachweis bei der stichprobenartigen Untersuchung von Thrombozyten im Elektronenmikroskop. 

Die Plättchenfunktion unterschied sich signifikant bei Erkrankten und Gesunden: Selbst unstimulierte Thrombozyten von COVID-19 Patienten wiesen eine erhöhte P-Selektin-Basalexpression und nach Stimulation (mit ADP und PAR1 (SFLLRN oder TRAP))auf. Auch ließen sich bei Covid-19 mehr Zellaggregate von Thrombozyten mit neutrophilen Granulozyten, mit Monozyten und T-Lymphozyten im zirkulierenden Blut nachweisen, ohne Unterschied zu Intensiv oder Normalstations-Patienten bei Monozyten und CD8+-T-Lymphozyten, aber verstärkt bei den Normalstations-Patienten mit CD4+-Lymphozyten  und Granulozyten bei den Intensivpatienten. Im Vergleich zu gesunden Blutspendern war die Gerinnungsgeschwindigkeit nach Thrombozyten-Stimulation mit ADP, Thrombin und Kollagen erhöht und funktionelle Gerinnungstests führten zu mehr Fibrinogen- und Kollagenproduktion. Dies war auf eine gesteigerte Aktivierung des "MAP-Kinase- Pathways"  zurückzuführen, der eine gesteigerte Thromboxanproduktion über die Regulierung der Phospholiase A2-Aktivität im Zytosol bewirkt. Die gesteigerte Phophorylisierung der Phospolipase Akonnte das Team bei Covid-19 Patienten nachweisen. Diese Thromboxan-vermittelte Überreagibilität konnte durch Acetylsalicylsäure in hohen Dosen reduziert werden. 

Interessant ist, dass die auf diesem Sektor früher bereits aktive Forschergruppe beim Vergleich mit der Plättchenveränderungen durch Covid-19 ganz spezifische Pathomechanismen der Aktivierung fand, die sich von den Veränderungen unter anderen Virusinfektionen oder Sepsis unterschieden. Aus den teilweise unterschiedlichen Aggregations- und Aktivierungsmustern von Intensivpatienten und Patienten auf Normalstation lassen sich eventuell zukünftig diagnostische Schlüsse ziehen. Auch beachtenswert ist, dass sich Hinweise für die intrazelluläre Präsenz von Viren in Thrombozyten fanden. Durch die begrenzte Fallzahl konnten die klinischen Konsequenzen der verstärkten Thrombozytenaktivierung nicht anhand einer erhöhten Thromboembolierate belegt werden.

Nach meiner Einschätzung stellt dieser Artikel ein weiterer Beleg für die wichtige Bedeutung der Antithromboseprophylaxe und der potenziellen Erweiterung zur Plättchenaggregationshemmung als Therapiebausteine der Covid-19- Behandlung dar.

Pubmed

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Für Sie gelesen von Th. Frietsch 

 

 

 

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