Restriktive Transfusionsstrategie für die Gefäßchirurgie gefährlich?

Møller A et al. Low vs. high hemoglobin trigger for Transfusion in Vascular surgery: a randomized clinical feasibility trial. Blood. 2019 Jun 20;133(25):2639-2650. doi: 10.1182/blood-2018-10-877530

Bisherige Studien zur Transfusionsstrategie haben erhebliche methodische Einschränkungen: Die meisten basieren auf Hämoglobingrenzen, die aufgrund der nicht vorhandenen Blutvolumenmessung in beiden Gruppen nicht wirklich unterschiedlich sind, haben Patienten ohne relevanten Blutverlust eingeschlossen, erfassten nur stabile postoperative Patienten oder sind durch viele Protokollverletzungen wenig überzeugend.

Endlich ist einmal eine Studie veröffentlicht worden, bei der die Methodik zur Erforschung der Transfusionsstrategie korrekt angewendet wird. Es ist eine Studie, die untersucht, ob es möglich ist, von den Entscheidungen, die alleinig auf die Hämoglobinkonzentration fußen, wegzukommen und mehr die physiologisch sinnvollen Parameter zu messen - Gewebeoxigenierung anhand der Infrarotspektrometrie (NIRS). Hämoglobinkonzentrationen wurden korrekterweise unter Kontrolle des Volumenstatus beurteilt.

Ziel der Studie war, die Effekte eines Studienprotokolls zu untersuchen, das gefäßchirurgische Patienten (offene abdominale Aortendissektion und Gefäßbypass untere Extremität) einer restriktiven (unter einer Hämoglobinkonzentration (Hb) <8g/dl) oder liberalen (Hb <9,7g/dl) zuordnete. Die Effekte dieser Strategie wurden anhand der Gewebeoxigenierung im Muskel und im Gehirn gemessen. Als primäre Zielparameter des Protokolls wurde der Hb 15 Tage nach dem operativen Eingriff und der Transfusionsbedarf festgelegt. Intraoperative Volumentherapie wurde mittels Variabilität des kardialen Schlagvolumens (SVV) gesteuert (>10% oder Noradrenalinperfusor). Die Gerinnungstherapie mit Plasma und Thrombozytenkonzentrate wurde mittels Thrombelastometrie gesteuert. Protokollverletzungen (nach Definition) und Komplikationen (Sterblichkeit, gefäßbedingte Komplikationen, Herzinfarkt und Nierenversagen) wurden ebenfalls erfasst: Troponinlevel und Kreatinin am 1. und 2. postoperativ. Tag, gegebenenfalls EKG ggf. weitere Diagnostik. Die Therapie wurde 30 Tage beibehalten, auch im Falle einer Wiederaufnahme. Der Nachbeobachtungszeitraum war ein halbes Jahr. Alle Erythrozytenkonzentrate waren leukozytenreduziert.

Prospektiv randomisiert wurde nach Powerkalkulation (screened n=206, randomisiert n=58, ausgewertet 2 Gruppen liberal vs. restriktiv n=29). Nach 15 Tagen war der mittlere Hb 10,33 g/dl vs. 9,46 g/dl. Ab dem Aufwachraum (1,35 g/dl) waren die Gruppen-Hb-Niveaus signifikant unterschiedlich bis zu Tag 30 (1,07g/dl). Intraoperative Volumen- und Blutverlustparameter waren gleich. Natürlich brauchten die Patienten der restriktiven Gruppe intra- und postoperativ um mehr als die Hälfte weniger Konserven (1 (0-2) vs. 3(2-6), p=0,0015) und ein drittel aller Patienten der restriktiven Gruppe musste überhaupt transfundiert werden. 

Die restriktive Gruppe erlitt kumulativ längere zerebrale Desaturationen als die liberal Transfundierten (421 (42-888)min vs. 127 (11-331)min, p=0,0036). Die Muskeloxigenierung, Veränderungen der Troponin- und Kreatininspiegel als auch die Komplikationsrate waren in beiden Gruppen gleich, ebenso die Mortalität. Allerdings erlitten mehr restriktiv versorgte Patienten gefäß-bedingte/-chirurgische Komplikationen, hauptsächlich Amputationen (18/29 vs. 8/29 (RR 2,40, p=0,007). Die Wahrscheinlichkeit einer längeren Phase komplikationsfreien Überlebens war in der restriktiven Gruppe deutlich geringer (Kaplan Meyer Plot, (HR 3,2, p=0,0006). Die Überlebenstage nach Entlassung waren in der restriktiven Gruppe geringer (76 vs. 82 Tage, p=0,049).

Natürlich war die Studie nicht statistisch so designed, dass sie für diese Outcomeunterschiede eine ausreichende statistische Power gehabt hätte. Diese niedrigen Fallzahlen lassen keine gültige Interpretation des Outcomes zu. Außerdem waren viele Patienten präoperativ leicht oder moderat anämisch.

Aber sie hat eindrücklich demonstriert, dass die saubere Trennung der Gruppen mittels Normovolämiemessung möglich ist. Und wenn das so gemacht wird, dass dann mehr zerebrale Sauerstoff-Sättigungsabfälle in der restriktiv transfundierten Gruppe hingenommen werden muss, wie immer das auch klinisch relevant sein mag. Zu guter letzt hinterlässt sie glaubhafte Zweifel, dass bei Hochrisiko-Gefäßpatienten der restriktive der anzuratende Trigger ist - Eine ausreichende gepowerte Studie müsste diesbezüglich Sicherheit schaffen.

 

Pubmed

Für Sie gelesen von Th. Frietsch

 

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