Rotem-basierter Algorithmus in der Aortenbogenchirurgie mit HLM und Hypothermie

Karrar S et al. Rotational Thromboelastometry-Guided Transfusion Protocol to Reduce Allogeneic Blood Transfusion in Proximal Aortic Surgery With Deep Hypothermic Circulatory Arrest. Cardiothorac Vasc Anesth 2021 Aug 19;S1053-0770(21)00692-3

Thrombelastographie-basiertes Gerinnungsmanagement scheint gut in der Herzchirurgie zu funktionieren, wo die Koagulopathie hauptsächlich durch die extrakorporale Zirkulation (HLM) und nicht so oft durch eine tiefe Hypothermie ausgelöst wird. Ändert sich was an der Effektivität, wenn das POC-Gerinnungsmanagement bei tiefer Temperatur UND Blutstase im Herzkreislaufstillstand zur Steuerung der Gerinnungstherapie eingesetzt wird?

Genau das hat jetzt eine retrospektive Untersuchung einer Klinik in Rotterdam analysiert.

Die Autoren haben die Phasen vor und nach der Einführung der algorithmusgesteuerten POC-Diagnostik bei selektiven und Notfalleingriffen an der Aortenwurzel, der aufsteigenden Aorta bis inklusive Bogen verglichen (vorher Standardlaborparameter). Die Eingriffe wurden alle in tiefer Hypothermie bei <22°C durchgeführt, maximal 20-45min bei minimal 18°C. Monitoring war neben arteriellem Blutdruck und TEE Blasen- und nasale Temperatur, BIS und NIRS. Alle Patienten der Gruppe vor POC (Kontrolle) erhielten Tranexamsäure (Txa) 2g vor Schnitt und nochmalig 2g vor HLM. Die TEG-Gruppe (Verum) erhielt 1g Txa-Bolus vor Schnitt gefolgt von einer Dauerinfusion mit 0,5g/h bis Naht. Die HLM wurde nicht autolog oder heterodox gefüllt, die maschinelle Autotransfusion MAT wurde aber während des Eingriffs benutzt. Alle erhielten 300 IU Heparin vor Anschluss an die HLM und 100g Mannitol 15% währenddessen, 200 ml Mannitol 15% und 100ml Albumin 20% danach. Antegrade Hirnperfusion wurde nur manchmal nach chirurgischer Entscheidung oder bei langer Stillstandzeit >45min benutzt.

Das Gerinnungsmonitoring bestand in der Kontrollgruppe aus ACT (>480s), Blutgasanalyse und Elektrolyte, Hämoglobinkonzentration Hb, Hämatokrit Hct, INR, Prothrombinzeit PT, aPTT und Fibrinogenspiegel. In der TEG-Gruppe wurde der Herzchirurgie-Algorithmus von Klaus Görlinger et al. benutzt, d.h. nach Durchführung einer Ausgangsmessung bei Narkoseeinleitung (inklusive Heparinasewirkung) wurden Gerinnungs- und Blutprodukte bis zur Normalisierung der TEG-Resultate gegeben. Erythrozytenkonzentrate wurden ab einem Hb von 7g/dl während der HLM oder 9 g/dl in der Weaningphase geabreicht. Thrombozytenkonzentrate wurden bei einer diagnostizierten Dysfunktion oder einer Zahl unter 100 000/µl gegeben, DDAVP bei ausreichender Anzahl, aber bei Funktionsdefiziten der Thrombozyten. Prothombinkomplex wurde nur bei Normovolämie (und vorheriger VKA-Einnahme) bei erhöhter PT (INR) und verlängerter aPTT dem therapeutischen Plasma vorgezogen.

Primärer Endpunkt war der Transfusionsbedarf intraoperativ bis 7 Tage danach, sekundärer die chirurgische Revisionsrate in derselben Periode, der Gerinnungsfaktorenverbrauch, die 30-Tage Mortalität, die Krankenhausverweildauer LOS, die Inzidenz von Volumenüberladung TACO und die stationäre Behandlungskosten.

Eingeschlossen wurden n=217 Patienten (122 vs. 95 Kontrolle) in 130 elektiven und 87 Notfall-Eingriffen ohne wesentliche demographische Unterschiede in den 4 Gruppen. In der Verum Gruppe war die Dauer an der HLM länger, der postoperative Hb höher und das Fibrinogen postoperativ niedriger. Ebenso war sowohl der Verbrauch an zellulären Blutprodukten (Anzahl EKs elektiv 5 vs.2 bzw. Notfall 7 vs.5 und TK elektiv 2 vs.1 bzw. 3 vs.2) als auch das transfundierte Plasmavolumen (elektiv 1980 vs. 800ml bzw. 3140 vs. 1000 ml bei Notfalleingriffen) geringer, dafür der Verbrauch an Gerinnungspräparaten höher. Der Vergleich des Plasmavolumens ist nicht ganz fair, da das Volumen und die Konzentration vor und nach Einführung der TEG-Phase zu Ungunsten der Kontrollgruppe differierte. Im Mittel wurde in der Verumgruppe mehr Txa und weniger DDAVP gegeben.

Die klinischen Ergebnisse der Verum-Gruppe für elektive Eingriffe waren eine deutlich geringere Revisionsrate (Reexplorationen) (33.8% v 5.1%, p<0.001) und eine kürzere mittlere Verweildauer im Krankenhaus (8 vs. 6 days, p<0.001). Die Legalität und die Verweildauer auf Intensiv waren vergleichbar. Das alorithmusgesteuerte POC-Protokoll reduzierte den durchschnittlichen Bedarf um 3.52 EKs (95% CI 4.89-2.17]; p=0.001) und das Risiko einer blutungsbedingten chirurgischen Revision um 82% (OR 0.18 [95% CI 0.07-0.45])

Die Kostenreduktion durch den Einsatz des Gerinnungsmanagements war für einen elektiven Eingriff bei einem Patienten ca. 5400 $, aber "nur" knapp 590 $ bei einem Notfalleingriff. Da sich die eingesparten Kosten für die zellulären Blutprodukte mit den zusätzlich notwendigen Gerinnungskonzentraten aufwogen war die Bilanz hauptsächlich durch die klinischen Effekte und deren Auswirkungen auf die Krankenhauskosten geprägt.

Bei aller Interpretationswürdigkeit dieses retrospektiven Longitudinalvergleichs ist dieser letzte Punkt ein wichtiges Argument für die ökonomische Bewertung des physiologisch/medizinisch präziseren Verfahrens. Es ist eben nicht alles durch den Vergleich von Aquisitionskosten zu bewerten, sondern wegfallende medizinische Folgekosten (vermiedene Komplikationen) und höhere Behandlungsqualität zahlen sich meist mehr aus.

Deshalb eine erwähnenswerte, obwohl kleine retrospektive Untersuchung.

Pubmed

 

Für Sie gelesen von Th. Frietsch

 

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