Sind ältere Patienten liberaler zu transfundieren?

Pelavski AD et al. Audit of transfusion among the oldest old: treading the fine line between undertransfusion and optimum trigger. Transfusion. 2019 Jul 1. doi: 10.1111/trf.15428

Nachdem immer noch die Patientengruppe gesucht wird, die nicht von einer restriktiven Transfusionsstrategie profitiert (die es sicher irgendwo gibt!), hatten sich zuletzt Hinweise aus Meta-Analysen ergeben, dass vielleicht im geriatrischen und alterstraumatologischen Bereich diese Ausnahmen zu finden sind - also ältere und gebrechliche Patienten, z.B. nach hüftnahen Frakturen (siehe Gregersen et al.). Nun hat eine Arbeitsgruppe aus Spanien die Daten einer prospektiven Observationsstudie (Pelavski AD et al. 2017) zum Outcome der Bluttransfusion im Rahmen elektiver Eingriffe genutzt.

Als Outcome wurde Morbidität, 30-Tage- und 6-Monatsmortalität und die Krankenhausverweildauer (LOS) gewählt. Alle anämische Patienten über einem Alter von 85J wurden in 2 Gruppen unterteilt: A-Patienten, die eine präoperative Anämie (Hb <9g/dl) ohne Transfusion hatten und B-Patienten, die mit und ohne Transfusion den perioperativen Nadir von Hb ≥9g/dl nicht unterschritten.
 
In diesem speziellen Gruppenvergleich waren von 148 Patienten 25% (n=37) mit über 50% malignen Grunderkrankungen der Gruppe A zuzuordnen, die einen längeren Krankenhausaufenthalt (Odds Ratio OR 2.6, Konfidenz-Intervall CI (1.1-6.3)), eine höhere Morbidität (OR 4.2, CI (1.9-9.5)) und Mortalität (sowohl 30 T (OR 6.6, CI (1.2-36.3)) als auch 6 M (OR 3.6, CI (1.3-9.8)) erlitten. In allen Regressionsmodellen war der Hb-Trigger von 9g/dl ein unabhängiger Risikofaktor für vermehrte Komplikationen und ein schlechteres Outcome.
 
Die Autoren schlossen aus diesen Ergebnissen, dass eine liberale Transfusionsstrategie für ältere Patenten über 85J vorzuziehen sei.
Diese Schlussfolgerung ist äußerst windig, da die kleine (n=37) Gruppe A kränker und erheblich blutärmer ins Rennen ging (Hb 10,5 vs. 13,1g/dl, p<0,01), gebrechlicher war (Frailty 83,8% vs. 70,3%, n.s. p=0,1), komplexere Komorbiditäten und ein höheres Risikoprofil mitbrachten (Complexity high risk 97,3% vs. 83,8%) als die Patienten der Gruppe B.
 
Meiner Meinung sollte man aus dieser retrospektiven Arbeit höchstens schließen, dass eine präoperative Optimierung der Anämie sinnvoll ist und es vermutlich einen Zweck hat, Ältere UND Gebrechliche liberal zu diskutieren. Dieses sollte aber erst nach einigen RCTs in Bestätigung der Gregersen-Studie mit gleichem Ergebnis als tatsächlich bestätigt betrachtet werden. Aber als retrospektive Arbeit ist dieser Artikel zur Thesengenerierung zulässig, zumal sie gleichlaufende Resultate erzielt wie die Arbeit von Gregersen.
Die von den Autoren geäußerte Kritik an bisherigen Studien (RCTs) zum liberalen versus restriktiven Transfusionsmanagement sind teilweise berechtigt, da die Transfusionstrigger per Studienprotokoll und die dann tatsächlich benutzten oder tiefsten Hämoglobinwerte zum Teil erheblich abweichen. Allerdings bleibt abzuwarten, ob diese Studiengruppe eine RCT zur Bestätigung ihrer Daten überhaupt veranlasst.
 
 
 
Für Sie gelesen von Th. Frietsch
 

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