Transfusionstrigger für Frühgeborene

Kirpalani H et al. Higher or Lower Hemoglobin Transfusion Thresholds for Preterm Infants. N Engl J Med. 2020 Dec 31;383(27):2639-2651. doi: 10.1056/NEJMoa2020248.

Das amerikanische Shriver-Netzwerk mit vielen Kinderkrankenhäusern in den USA hat eine multizentrische kontrollierte Studie zum Vergleich liberaler versus restriktiver Transfusionstrigger von Frühgeborenen unter 1000g durchgeführt.

Die Studienhypothese war, dass ein liberaler Trigger die neurologischen Schäden bei den Frühgeborenen reduzieren sollte.

Eingeschlossen wurden Kinder unter 1000g, die in der Periode von der 22. bis zur vollendeten 28.SSW entbunden wurden und innerhalb von 48h bis zur 36.Gestationswoche bzw. zur Entlassung liberal oder restriktiv transfundiert wurden. Der primäre Endpunkt war das Versterben oder ein neurologischer Schaden (kognitive Retardierung, Epilepsie, Hör- oder Sehstörung) im Alter von 2 Jahren/ 22-26 Monate). Sekundäres Studienziel war die Überlebensrate ohne Komplikationen bis zur Krankenhausentlassung, die Krankenhausverweildauer (LOS) und der Transfusionsbedarf.

Eingeschlossen werden konnten n=1824 Frühgeborene der 26.SSW (im Mittel 25,9) mit einem mittleren Geburtsgewicht von 756g; mean gestational age, 25.9 weeks). Zwischen den randomisierten Gruppen (liberal, n=845, Hb > 10g/dl vs. restriktiv, n=847, Hb > 8g/dl) lag eine Hämoglobin-Differenz von 1,9 g/dl im Beobachtungszeitraum.

In der liberal transfundierten Gruppe starben oder überlebten mit neurologischen Folgeschäden (n=423, 50.1%) nicht weniger als in der restriktiv behandelten Gruppe (n=422, 49.8%) ((RR relatives Risiko korrigiert für das Geburtsgewicht und das jeweilige Zentrum) RR=1.00; 95% Konfidenzintervall [CI], 0.92-1.10; p=0,93). Auch noch nach 2 Jahren betrug die Letalität in beiden Gruppen gleichermaßen 16.2% und 15.0% jeweils) bei gleichem Anteil der neurologischen Entwicklungsstörungen (39.6% und 40.3%).

Die Überlebensrate ohne Komplikationen bis zur Krankenhausentlassung war ebenfalls nicht unterschiedlich (28.5% vs. 30.9%, HR=0,93, 95% CI 0.81-1.06). Schwere Nebenwirkungen traten in beiden Gruppen gleich häufig auf (22.7% und 21.7%). Die liberal geführte Gruppe hatte naturgemäß ein um 70% gesteigertes Risiko transfundiert zu werden (6,4 vs. 4,2 Einheiten, HR=1.71, 95% CI 1.37-2.05). Die Krankenhausverweildauer (LOS) war mit 96 (72-129) vs. 97 (75-127) Tagen in der liberalen Gruppe minimal verkürzt (HR=−1.25, 95% CI −6.96-4.48).

Die übrigen Probleme dieses Patientenkollektivs auf der Intensivstation wie die Retinopathie, die nekrotisierende Enterokolitis, die bronchopulmonale Dysplasie und die Hirnblutungen waren nicht wesentlich unterschiedlich in beiden Gruppen. In der restriktiven Gruppe traten nicht mehr Apnoephasen und Hypoxien auf (siehe Zago K et al. 2012 und Abu Jawdeh EG et al. 2014).

Überleben und neurologische Folgeschäden sind die wichtigen Behandlungserfolge bei extrem früh geborenen Kindern. Bereits wenige Wochen zuvor hatten Franz et al. im ETTNO-Trial, einer kleineren und ganz ähnlichen Studie ein vergleichbares Ergebnis erzielt (Franz AR, Engel C, Bassler D, et al. Effects of liberal vs restrictive transfusion thresholds on survival and neurocognitive outcomes in extremely low-birth- weight infants: the ETTNO randomized clinical trial. JAMA 2020;324:560-70). Damit sind in kurzer Zeit 2 randomisierte Studien über das Transfusionsregime bei Frühgeborenen veröffentlicht worden, die übereinstimmend demonstrieren, dass die restriktive Strategie keine zusätzlichen Risiken birgt, aber Transfusionen vermeidet.

Obwohl mit dieser Studie die Sicherheit bei den sekundären Outcomes nicht ausreichend bestätigt ist, kann doch für die wichtigsten Behandlungsergebnisse durch mehrere konsistente randomisierte Studien nun eine hohe Empfehlung zur Verwendung der restriktiven Transfusionsstratgie in dieser hoch-vulnerablen Patientengruppe abgegeben werden. Das müssen wir Kliniker nun umsetzen - auch mit eventuellem Unbehagen. Auch in dieser Studie gab es Transfusionen in der restriktiven Gruppe, die nicht dem Studienalgorithmus entsprachen. Ein Ausdruck der ärztlichen Sorge. Aber es ist jetzt eindeutig Zeit anzuerkennen, dass auch Frühgeborene nicht von mehr Bluttransfusionen profitieren.

Pubmed

 

Für Sie gelesen von Th. Frietsch

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