Lebensqualität nach liberaler oder restriktiver Transfusion

Hu et al. Health-related quality of life after restrictive versus liberal RBC transfusion for cardiac surgery: Sub-study from a randomized clinical trial. Transfusion 2022 epub DOI: 10.1111/trf.17084

Immer ein restriktiver Transfusionstrigger oder im individuellen Fall mal liberaler? Die Reevaluation der Behandlungsentscheidung nach Transfusionstrigger wird bei einer Nachuntersuchung der TRICS III in Frage gestellt: Ist der Großteil unserer Entscheidungen, die sich an Triggern und Hämoglobinkonzentrationen, Mortalität und Morbidität orientieren, differenziert genug, um dem individuellen Patienten gerecht zu werden? Berücksichtigen wir die wichtigsten Parameter, auch die aus Patientensicht? Haben wir alle Daten, die wir für diese Entscheidung brauchen?

Wirkt sich die postoperative Anämie nach einem herzchirurgischen Eingriff auf die Lebenqualität und die Komorbidität aus? Zumindest muss man die Datenlage inclusive der Beurteilung aus der letzten aktuellen Cochrane Database Analyse (siehe unsere Rezension) zum Thema so einschätzen, dass zwar die Kurz- und Langzeitmortalität, Komplikationen und Infektionen gleichwertig sind, dass aber andere, für den individuellen Patienten wichtige Ergebnisse der Behandlung wie die Lebensqualität nicht untersucht sind. Deshalb war bereits Anfang des Jahres die Begeisterung verhalten gewesen.

Eine prospektiv geplante Nachuntersuchung des australischen TRICS III-Trials (Transfusion Requirements in Cardiac Surgery) der Langzeitfolgen (24 Monate) der Transfusionsstrategie nach Herzchirurgie war einigen Autoren der Cochrane Database Analyse vielleicht schon bekannt gewesen.

Die Originalstudie verwendete die restriktive Schwelle von Hb 7,5g/dl (n=208/311) und verglich sie mit den Folgen der liberalen Grenzen (Hb-intraoperativ und Intensivstation 9,5g/dl, periphere Station 8,5g/dl; n=317/306) ohne Berücksichtigung physiologischer Trigger. Die eingeschlossenen Patienten der TRICS III hatten ein beträchtliches oder hohes Mortalitätsrisiko. Allerdings waren die Daten der jetzigen Nachuntersuchung nur bei zwei Dritteln der n=617 Originalteilnehmer verfügbar.

Untersucht wurde die Lebensqualität nach dem herzchirurgischen Eingriff mittels des SF-36v2 Score - einem validierten Telefoninterview mit 36 Items, die Fragen zur mentalen wie physischen Gesundheit, zum emotionalen und sozialen Empfinden, zu Schmerz und Vitalität enthält. Diese werden als Summenscore bezüglich der mentalen (MCS) oder physischen (PCS) Komponenten getrennt ausgegeben und an die in USA und Australien üblichen Normen angepasst.

Dabei erzielte die liberale Transfusionsstrategie nach 12, 18 und 24 Monate bessere MCS (MCS Differenz -2,6 nach 12 Monaten mit Rückgang auf -0,9 nach 24 Monaten) und PCS (Differenz -2,0 nach 12 Monaten mit Rückgang auf -1,1 nach 24 Monaten). Der Effekt reduzierte sich in der Tendenz.

Die Schwächen der Studie sind einerseits der hohe Anteil fehlender Datensätze durch Versterben oder fehlender Kontaktierbarkeit der Patienten und die fehlende Erfassung der Ausgangslage der Lebensqualität. Die Konfidenzintervalle sind manchmal schon sehr weit. Die Signifikanz der Effektgröße war so gewählt worden, dass auch kleine Unterschiede entdeckt werden konnten (0,25). Auf der anderen Seite erscheint es methodisch nicht so ganz einfach, die Patienten einer kontinentalen Studie nach 2 Jahren nochmalig zu befragen.

Insgesamt ist es schon richtig, dass auch das für die Patienten bedeutsame Outcome Lebensqualität mit untersucht und beachtet wird. Aber der in dieser Studie nachgewiesene, kleine Effekt in einem sehr speziellen Hochrisiko-Kollektiv ist noch nicht dazu geeignet, die restriktive Strategie in Frage zu stellen. In einigen wenigen anderen Studien und Kollektiven (TRIFE, TRISS, TRIGGER, TITRe2) war bis zu 12 Monaten kein Unterschied in der Lebensqualität zwischen restriktiver und liberaler Strategie zu messen. Auch wenn das Ausmaß der postoperativen Anämie mit anderen Therapeutika wie Eisen oder/und Erythropoetin versucht wurde zu beeinflussen, waren bislang keine Unterschiede festgestellt worden.

Das begleitende Editorial (Mo & Higgins. Restrictive transfusion thresholds: Have we left patient-centered outcomes behind?) betont nochmal die Aufforderung, in Zukunft neben den medizinischen Outcomes wie Mortalität und Morbidität auch die Lebensqualität als Langzeit-Studienziel zu erfassen.

Bewertung: In Anbetracht dessen, dass wir uns schon mit der Entscheidung restriktiv oder liberal schwer tun, weil wir keine Echtzeitparameter monitoren können, auf die wir unsere Entscheidungen basieren. Ganz zu schweigen der Schwierigkeit, beim schwerstkranken Patienten die Normovolämie festzustellen. Für die Klinik ist es nach derzeitigem Standpunkt völlig utopisch, anders als restriktiv zu therapieren; aber für die Forschung heißt es, dass wir vielleicht mit Morbidität und Mortalität nicht alles erfassen, was für den Patienten bedeutsam ist. Allerdings was heißt das? Sollte sich in zukünftigen Studien bewahrheiten, dass durch die passagere Anämie bei oder nach der Herzchirurgie die Lebensqualität stark beeinträchtigt ist, muss man dann die Patienten fragen, ob sie lieber unter Inkaufnahme einer höheren Mortalität liberal transfundiert werden? Die Langzeitsterblichkeit bis zu 6 Jahren ist nach liberaler Transfusionstrategie eindeutig höher (siehe für eine deutsche kurze Zusammenfassung im deutschen Ärzteblatt). Ohne nähere und bessere Daten, für welches Kollektiv und durch welche Ursache welche mentale oder physische Einschränkung der Lebensqualität verursacht wird, stehen wir vor einem Berg von Ungewissheit.

Ich betrachte die Diskussion als sehr akademisch und derzeit viel zu spekulativ. Und auf keinen Fall ist sie ein Argument nun wieder zu liberalen Triggern zurückzugehen ...

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Für Sie gelesen von Th. Frietsch

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