Valide Voraussage des Transfusionsbedarfs in der Orthopädie

Dhiman et al. Utility of pre-operative haemoglobin concentration to guide peri-operative blood tests for hip and knee arthroplasty: A decision curve analysis. Transfus Med 2022 May 11. doi: 10.1111/tme.12873.

Die Transfusionsraten bei elektiven orthopädischen Eingriffen gehen stark zurück, aus vielen Gründen. Immer seltener brauchen wir Blut und viele Kreuzproben bleiben Beschäftigungstherapie für ein immunhämatologisches Labor. Das Problem ist die Voraussage, welcher kleine Anteil an Patienten eine Blutkonserve brauchen wird und wo auf eine Blutbereitstellung inklusive Kreuzprobe und postoperativer Hämoglobinwertkontrolle verzichtet werden kann. Eine englische Arbeitsgruppe hat nun ein verlässliches statistisches Verfahren erprobt, das auch auf jedes andere Krankenhaus übertragbar sein könnte.

Die Autorengruppe hatte dafür in Oxford, UK die routinemäßig erhobenen Daten der Jahre von 2011-2018 von primären Hüft- und Knieprotheseneingriffen (auch Teilersatz Knie) analysiert. Notwendig waren die Daten zu Alter in Jahren, Geschlecht, präoperativer Hämoglobinkonzentration (Hb g/L); ASA Status (range: 1-5, ordinal) und postoperativem Hb, Datum der OP. Die dem Operationsdatum zeitlich nähesten Hb-Werte vor und nach dem Eingriff wurden als Hbs verwendet.

Die Versorgung war der Unsrigen sehr ähnlich. Eine untere Hämoglobingrenze von 7g/dl ist in UK die NIH/NICE-Empfehlung, bei Akutem Coronar-Syndrom ACS 8g/dl. Hinsichtlich Operateur und chirurgischer Technik wurde nicht unterschieden. Bei Knieprothesen wurde immer eine Blutsperre/-leere angewandt, ab 2015 wurde Tranexamsäure prophylaktisch verabreicht.

Die Entscheidungskurve (Decision Curve Analysis - DCA) wurde mit den vier Möglichkeiten berechnet: 1. Alle Patienten Blutgruppe bestimmen und post-op Hb durchführen, 2. Bei keinem Patienten eine Blutentnahme durchführen, 3. Nur bei Patienten mit präoperativer Anämie (Hb <13g/dl) Blutproben analysieren, 4. Nur bei Patienten mit einem erhöhten Risiko für eine postoperative Anämie BG und postoperativen Hb bestimmen.

Ziel war die jeweilige Strategie denjenigen Patienten zuzuordnen, die eine notwendige Blutentnahme wegen postoperativem Transfusionsbedarf brauchten bzw. die Zuordnungen zu identifizieren, bei denen eine Blutentnahme verzichtbar gewesen wäre.

Aus den Datensätzen von knapp n=9 000 Patienten und ca. 10 000 Operativen Eingriffen wurden die postoperativen Hbs und der postoperative Transfusionsbedarf extrahiert. Mittleres Alter war 68 J, Hüftprothetik war zu 50% durchgeführt, Total- und Teilprothesen beim Knie ca. je 25% aller Eingriffe. Bei 15-30% der Patienten lag eine präoperative Anämie vor (je nach Definition). Lediglich 4,5% (n=388) aller Patienten wurden transfundiert, aber bei nur einem kleinen Anteil davon (3,9% bzw. 28,7%) war postoperativ ein Hb von unter 7 bzw. 8g/dl festzustellen. Intraoperativ wurden 13,5% der Patienten, am Operationstag postoperativ 22,9% transfundiert. Ohne die Messung eines postoperativen Hb wurden n=48 (12,3% der Transfundierten) transfundiert.

Bei den Knieteilprothesen fiel kein Patient unter Hb 7g/dl und nur einer unter 8g/dl (0,04%). Bei den Knievollprothesen waren 0,08% unter einem Hb von 7g/dl. Der Anteil der transfundierten Patienten im ganzen Kollektiv fiel im 7-jährigen Untersuchungszeitraum, aber der Anteil der postoperativ Anämischen blieb gleich.

Pro g/dl Hb präoperativ mehr/weniger fiel/stieg das Risiko für eine Bluttransfusion um 7% in der Hüftendoprothetik (OR 0.93, 95% CI 0.920.94) und 8% in Knieedoprothetik (OR 0.92, 95% CI 0.900.94). Bei einem präoperativen Hb von 13,6g/dl als Entscheidungsschwelle für Blutentnahmen, hätten 2478 Patienten Blut getestet bekommen, aber keine Transfusion benötigt und 2117 Patienten kein Blut entnommen bekommen und auch keine Transfusion gebraucht. Lediglich 8 Patienten hätten kein Blut getestet bekommen, aber doch eine Transfusion erhalten.

Wurde aber der erwartete postoperative Hb mit einkalkuliert - als sogenannte Decision Curve Analysis (DCA) - bestand nur eine 1%-ige Wahrscheinlichkeit, dass ein postoperativer Hb <8g/dl auftrat. Wenn der Patient ein präoperativer Hb von 12,0g/dl vor einer Hüftendoprothetik und von 13,1 g/dl vor eine Knieendoprothetik aufwies.

Das bekannte Problem, dass nur ein kleiner Teil der orthopädischen Patienten eine Transfusion von Erythrozytenkonzentraten (EK) benötigt, aber quasi oftmals eine Blutgruppenbestimung und evtl. Blutbereitstellung als auch eine postoperative Hb-Bestimmungen notwendig ist, kann mit der Wahrscheinlichkeitsberechnung der Statistiker aus Oxford gelöst werden. Diese Risikostratifizierung nach Eingriff, präoperativem Hb und zu erwartendem postoperativem Hb verringert die Anzahl der notwendigen Blutentnahmen, die damit verbundenen Blutverluste als auch die Kosten von Personal, Labor und Klinik.

Das Vorgehen klappt natürlich nur, wenn die wenigsten Patienten einen positiven AKS haben und selten perakute Blutungen auftreten. Und das ist der große Knackpunkt. Kann davon ausgegangen werden, dass ein unerwarteter großer Blutverlust auftritt, intraoperativ oder am ersten postoperativen Tag, kann der Patient mit der passenden Blutgruppe auch im perakuten Notfall versorgt werden. Ob das Verfahren also in Ihrer Klinik anwendbar ist, hängt von Anteil der bekannten Patienten mit positivem AKS ab. Aber meist kann ja auch bei postoperativem Transfusionsbedarf auf den AKS gewartet werden. Und eine 0,1% Chance, dass eine Situation auftritt, in der der Patient eine nicht-diagnostizierte postoperative Anämie erleidet, wenn auf Hb-Kontrollen aufgrund des präoperativen Hbs verzichtet wird, ist unter diesen Aspekten tolerabel. Außerdem weiß man ja auch, wo es unerwartet stark geblutet hat.

 

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Für Sie gelesen von Th. Frietsch

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