Vermeidung von Übertransfusion/Infusion

Koratala A et al. Diagnosis of Fluid Overload: from Conventional to Contemporary Concepts. Cardiorenal Med 2022 Sep 12. doi: 10.1159/000526902

Die Vermeidung von Überinfusion und vor allem Übertransfusion ist immer noch ein ungelöstes, weil schwer messbares Problem. Trotz der erheblichen Bedeutung für das Behandlungsergebnis ("Outcome") in vielen Bereichen der Medizin kann diese Überdosis nicht einfach und noninvasiv gemessen und damit vermieden werden. In der klinischen Transfusionsmedizin wissen wir besonders bei den schwerkranken Patienten nicht, ob die Transfusionsindikation gegeben ist, da sie sich oftmals an der Hämoglobinkonzentration bei Normovolämie orientiert. Ein Übersichts-Artikel in Cardiorenal Medicine aus Wisconsin über die Schwierigkeiten der Diagnose beleuchtet den gegenwärtigen Stand der Technik.

Besonders bei Intensivpatienten, dem am häufigsten transfundierten Kollektiv, ist das Versterben mit einer um 4,4 L Positivbilanz nach einer Woche assoziiert. Nicht nur in der allgemeinen Intensivmedizin führt die restriktive Flüssigkeitsapplikation zu einer geringeren Mortalität (24.7% vs. 33.2%; P<0.0001), sondern auch bei Leberzirrhose und sogar im septischen Schock. Alle Organsysteme sind durch die Überfüllung des Gefäßsystems in ihrer Funktion beeinträchtigt.

Als Vermeidungsstrategie wäre eine Methode wünschenswert, die kontinuierlich, non-invasiv, beim spontan-atmenden wie auch beatmeten Patienten, mit höchstmöglicher Präzision misst, ob und wie eine parenterale Verabreichung von Flüssigkeit oder Blutkonserven die Normovolämie beeinträchtigt. Der Artikel von Koratala A, Ronco C und Kazory A versucht die derzeit verfügbaren Messtechniken darzustellen und zu bewerten.

Die klinische Untersuchung und Orientierung an Symptomen ist zwar wichtig, schließt aber eine Hypervolämie nicht aus. Die gepoolte Sensitivität von Orthopnoe, peripheren Oedemen, Jugularvenenstauung, drittem kardialen Auskultationston und pulmonalen Rasselgeräuschen beträgt lediglich 50%, 51%, 39%, 13% und 60% um eine dekompensierte Herzinsuffizienz zu diagnostizieren. Die nicht klinisch apparente Flüssigkeitsüberladung wird noch sehr viel schlechter diagnostiziert. Der passive Beinhebetest (Passive Leg Raising, PLR) oder die kapilläre Füllungszeit (KFZ) sind nicht von den Autoren erwähnt. Das kontinuierliche Wiegen der gesamten Behandlungseinheit (Waagenintegration im Bett) wird von den Autoren als zu fehleranfällig und unsensitiv für Umverteilungen angesehen.

Laborwerte/Biomarker der Hypervolämie aus dem Bereich der Herzinsuffizienz (zum Beispiel Laktat, proBNP, etc.) sind wenig spezifisch und durch die vielen Einflussmöglichkeiten störanfällig. Die Orientierung an den proBNP-Spiegeln zur Therapiesteuerung erbrachte kein besseres kardiovaskuläres Outcome in 2 kontrollierten Studien bei Patienten mit chronisch erniedrigter Auswurfleistung. Trotzdem scheint eine verlässliche Korrelation zur Funktion des linken Ventrikels zu existieren. Jedoch können bei einem Drittel der Patienten mit einer erhaltenen Auswurfleistung Überfüllungszustände nicht mittels erhöhter BNP-Spiegel diagnostiziert werden. Ähnliches gilt für Laktat (siehe ANDROMEDA-SHOCK - vermehrt Organversagen im Vergleich zu KFZ) und Hämoglobin (PROTECT - vermehrt Lungenödem mit Hämodilution); CA125 korreliert recht gut mit Rechtsherzversagen, ist aber diskontinuierlich.

Quantitative Messungen des Blutvolumens (BV) sind meist invasiv. Die meisten beruhen auf Berechnung des BV auf dem Boden einer Indikatorverdünnungsmethode ähnlich der Kältebolusinjektionstechnik mittels Pulmonaliskatheter. Ein amerikanisches Verfahren benutzt sogar radioaktiv markiertes Albumin (BVA-100, DAXOR, USA). Es soll im Intensivbereich eine um 66% reduzierte Sterblichkeit und eine um 20% verkürzte Aufenthaltsdauer bewirken. In einer kleinen Studie (n=245) mit propensity score gematchter Kontrollgruppe erreichte der Einsatz des Verfahrens eine Reduktion der Sterblichkeit nach 1 Monat um 82% bzw. um 86% nach 1 Jahr und eine um mehr als 50% verringerte Wiederaufnahmerate (Strobeck JE, Feldschuh J, Miller WL. Heart Failure Outcomes With Volume-Guided Management. JACC Heart Fail. 2018 Nov;6(11):940-948. doi: 10.1016/j.jchf.2018.06.017. Epub 2018 Oct 10. PMID: 30316941). Die Autoren zitieren dann noch ähnliche ebenfalls kleine Studien, die das Verfahren eingesetzt haben, diskutieren aber die Invasivität und den Einsatz der Radioaktivität nicht weiter.

Bildgebung:

  1. Thoraxröntgen und Lungensonographie: Bei der Röntgenaufnahme imponiert ein deutlicher Volumenüberschuss als zentrale Gefäßerweiterung, milchig trübe (interstitielle) Verschattung, Kerley-B-Linien, Kardiomegalie und Pleuraergüsse. Bei vermutlich mehr als den von den Autoren angegebenen 20% aller Patienten hat sich das Verfahren als falsch negative Methode zur Erfassung der Flüssigkeitsüberladung herausgestellt. Laut einer Meta-Analyse kann mittels Lungen-Sonographie ein Lungenödem zuverlässiger (Spezifität) und empfindlicher (Sensitivität) mittels Lungenultraschall festgestellt werden (91.8% vs. 76.5% und 92.3% vs. 87%; Chiu L et al. Meta-Analysis of Point-of-Care Lung Ultrasonography Versus Chest Radiography in Adults With Symptoms of Acute Decompensated Heart Failure. Am J Cardiol. 2022;174:89-95. doi: 10.1016/j.amjcard.2022.03.022.).
  2. Echokardiographie: Die Ultraschalltechniken können schnell bettseitig mit hoher Aussagekraft zur Entdeckung von Flüssigkeitsüberladung eingesetzt werden. Die Echokardiographie kann als Schnellschußverfahren zur Visualisierung der Ventrikelgröße und Kontraktilität zur Blitzdiagnose der Flüssigkeitsüberladung eingesetzt werden. Die Vergrößerung des rechten Ventrikels und die Abflachung des Ventrikelseptums in der Diastole zu einem D-förmigen linken Ventrikel in der parasternalen Kurzachse sind untrügliche Zeichen der Überladung, eventuell mit Trikuspidalregurgitation und Cavadilatation. Zusätzlich sind Pleura- oder Perikardergüsse und deutliche Klappeninsuffizienzen relativ einfach zu diagnostizieren. Trotz der Abhängigkeit der Zuverlässigkeit vom Untersucher kann die Methode schnell erlernt und eingesetzt werden. Die Kenntnis der Dopplerfunktion ermöglicht Druck- und Volumenmessungen, was (zusammen mit der proBNP Messung) das Langzeitergebnis für Mortalität um über 53% senkte (HR 0,47; p<0,001) (Simioniuc A et al. Echo and natriuretic peptide guided therapy improves outcome and reduces worsening renal function in systolic heart failure: An observational study of 1137 outpatients. Int J Cardiol. 2016;224:416-423. doi: 10.1016/j.ijcard.2016.09.034.).
  3. Cava-Doppler: Die Darstellung (Kollabierfähigkeit) und Vermessung der V. Cava inf. wird gerade in der Intensivmedizin als Standardmethode gerne zur Abschätzung der rechtsventrikulären Vorlast benutzt. Obwohl die Methode nicht gut die Druckverhältnisse widerspiegelt, erlaubt sie doch eine gute Einschätzung der Volumentoleranz des rechten Herzens. Darüberhinaus bedeutet eine überfüllte untere Hohlvene (>1,9cm Durchmesser) zumindest beim Herzinsuffizienten auch erhöhte Sterblichkeit (29.3% vs 3.4%; P=0.009) (Cubo-Romano P et al. Admission inferior vena cava measurements are associated with mortality after hospitalization for acute decompensated heart failure. J Hosp Med. 2016;11(11):778-784. doi: 10.1002/jhm.2620). Jede zusätzlichen 0,5 cm Aufweitung korrelieren gut beim ambulanten Patienten mit einer um 38% gesteigerten Einweisungsnotwendigkeit wegen Herzinsuffizienz.
  4. Venendoppler: Die Flussmessung (validiert als VExUS) in Leber-, Portal- und Nierenparenchymvenen hat den Vorteil, dass sie die Flüssigkeitsüberladung im Organ dokumentiert, ohne allerdings zwischen systemischer Überladung und anderen Ursachen wie pulmonalem Hochdruck unterscheiden zu können. Eine dilatierte V. Cava inf. (>2cm) zusammen mit z.B. gestauten Nierenparenchymvenen resultierte in einer 3,7-fach gesteigerten Inzidenz des akuten Nierenversagens AKI.
  5. Ultraschall der Lunge: Sonographie kann früher ein erhöhtes extravasales Lungenwasser und Lungenödem diagnostizieren als Symptome auftreten und natürlich sensitiver als das Thoraxröntgen sind. Selbst bei normalen Auskultationsbefunden in 81% konnte die systematische Lungen-Sonographie in mehreren Kohortenstudien ein 3 bis 4-fach gesteigertes Risiko für Tod oder Hospitalisierung anzeigen.
  6. Sonographisch können natürlich auch einfach Pleuraergüsse, Aszites, Darmwandödem und Ileus nachgewiesen werden.

Bioimpedanz: Perioperativ hat sich das Verfahren zur Steuerung der Infusionsmenge auch bei Herz-, Nieren- und Leberinsuffizienten in älteren Publikationen als erfolgversprechend erwiesen (Zitate 60-63), bei kritisch Kranken auf der Bioimpedance as a measure of fluid status in critically ill patients: A systematic review. Acta Anaesthesiol Scand. 2021;65(9):1155-1167. doi: 10.1111/aas.13924). Neuere Studien zum Thema Bioimpedanz und Flüssigkeitsstatus (z.B. Zsom et al 2019, Zoccali et al 2021, Zoccali et al 2017Zhu et al 2019) hauptsächlich bei Dialysepatienten wurden in diesem Artikel nicht erwähnt. Die größten Störgrößen sind die mangelnde Diskriminationsfähigkeit hinsichtlich Lokalisation (z.B. Pleuraerguss vs. Lungenödem) und die Fehler bei Veränderung der Lagerung bzw. Umkleben der Elektroden.

Implantierbare Pumonalarteriendruck-Messsysteme (CardioMEMS HF System, Abbott, USA) erlauben bei ambulanten Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz die Therapie und Volumensteuerung. Auch wenn die Druckmessung schlecht mit dem Volumenstatus korreliert und die Methode invasiv ist, gibt es (einige wenige) Patienten, die davon profitieren.

Zusammenfassend ist der Artikel für Hämotherapeuten enttäuschend. Wir hoffen auf eine verlässliche Methode zur Bestimmung der Normovolämie bzw. von Abweichungen davon. Nicht nur aus der Intensivmedizin wissen wir Kliniker, dass verlässliche oder gar quantitative Messmethoden in der Klinik nur invasiv verfügbar sind. Die klinisch-therapeutischen wie perioperativen Volumenumsätze und der Einfluss der Transfusion erfordern beim kritisch kranken Patienten eine genaue Diagnostik, aber auch und vorwiegend ohne Intensivüberwachung. Immer häufiger behandeln wir im normalen Tagesbetrieb transfusionsbedürftige Patienten mit der Gefahr der Flüssigkeitsüberladung. Hochrisikopatienten sind gealterte Patienten und solche mit Organinsuffizienzen der Niere-, Leber- und Herz deshalb, weil es zu erheblichen Volumenverschiebungen kommt, die die Indikationsstellung von Blutprodukten und die Durchführung (Dosis, Überwachung etc.) der Hämotherapie an sich beeinflusst.

Für uns ist also dieser Artikel etwas enttäuschend, nicht nur weil er uns die erhofften Zukunftsperspektiven nicht liefert, sondern weil er auch im Detail zu wenig in die Tiefe der Methodiken und Möglichkeiten geht. So ist die Pulskonturanalyse zu kurz erwähnt (obwohl sie auch semi-invasiv verfügbar ist), die plethysmographischen Verfahren und zukunftsträchtigen Methoden wie die CO-Inhalation gar nicht.

Fazit: Das richtige, weil wichtige Thema für ein bislang ungelöstes medizinisches Problem wurde gewählt, hätte man in der Ausführung allerdings besser machen können.

 

Pubmed

Karger Free Access: DOI: 10.1159/000526902, eISSN: 1664-5502 (Online) https://www.karger.com/CRM

Für Sie gelesen von Th. Frietsch

 

 

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