Viskoelastische Gerinnungsdiagnostik für die Malignom-assoziierte Koagulopathie

Walsh MA et al. Viscoelastic testing in oncology patients (including for the diagnosis of fibrinolysis): Review ... Transfusion Supplement 2020 Oktober 11 https://doi.org/10.1111/trf.16102

Zur Koagulopathie, die man bei Malignomen und während der Chemotherapie beobachten kann, tragen vermutlich antifibrinolytische Moleküle, dysregulierte Thrombozyten und Makrophagen sowie ein gestörtes Gefäßendothel bei. Zur Erfassung, Typisierung und Quantifizierung dieser komplexen Interaktionen sind die Routinelaborverfahren (INR-PT, aPTT, TZ, Fib) nur begrenzt geeignet. Die Vollblutanalysen mittels Thrombelastometrie (TEG, Rotem) oder Sonorheometrie (Quantra) sind dagegen vielversprechende Alternativen, letzteres mit eventuellen Vorteilen bei der Erfassung auch der Hyperkoagulibilität und des Thromboserisikos (siehe auch Hypercoagulobility in the Critical Ill). Obwohl in vielen Belangen mit der schon lang etablierten Thrombelastometrie vergleichbar (siehe auch Baryshnikov E et al. 2019), wurde es als relativ neuentwickeltes Verfahren nicht in diese Übersicht der viskoelastischen Testverfahren (VET) mit einbezogen.   

Die MAC- Malignom-Assoziierte Koagulopathie unterscheidet sich von der TIC-Trauma-Induzierte Koagulopathie durch den schleichenden Beginn mit zunehmender Dysregulation mehrerer Komponenten gleichzeitig. Aber wie in der TIC wird auch in der MAC ein Fibrinoysis-Shutdown (SD) beobachtet, das vollkommene Sistieren jeder Fibrinolyse, vermutlich durch ein Überwiegen des Plasmin-Aktivator-Inhibitors PAI-1. Die fibrinolytische Aktivität kann in den Vollblutassays mit dem Lyseindex nach einer gewissen Zeit (verlässlich nach 30 min- Lys30) angegeben werden- Hyperfibrinolyse Lys30 ≥3, Fibrinolysis Shutdown Lys30 ≤0.8) und normal (Lys30 = 0.9-2.9). In vielen anderen Bereichen außer Trauma wie nach großen Operationen in der Orthopädie, Lebertransplantation und der Onkologie-Chirurgie ist der SD beobachtet worden. Bei dem MAC-induzierten SD scheint auch der Zelltyp des Malignoms eine Rolle zu spielen, vermutlich durch die neoplasmatischen Prokoagulanzien. 

Zu den bislang berichteten Veränderungen der thrombelastographischen Messparameter gehören Zeichen der Hyperfibrinolyse (Lys30↓) und vorangehende Hyperkoagulobilität (CFT↓(entsprechend K), MA↑(MCF), alpha-Winkel↑) bei einigen abdominalen Malignomen, besonders dem Pankreasneoplasma und besonders (auch bei anderen Malignomen) postoperativ. Diese Veränderungen waren durch mehrere Arbeiten in FibTEM, ExTEM und InTEM sowohl bei Thrombosepatienten mit soliden Tumoren und Bronchialkarzinomen nachzuweisen. Nicht nur bei gynäkologischen Tumoren war die vorbestehende Hyperkoagulobilität durch die Volumensubstitution mit Hydroxyäthylstärke reversibel.   

Der Gebrauch von viskoelastischen Tests VET zur Lappenplastik und bei der Neck-Dissection zur Resektion von Kopf-Hals-Tumoren hat den Vorteil, dass die Gerinnungs-Veränderungen durch den Blutverlust und die Heparinzufuhr bei Gefäßplastiken schnell erfasst und zielgerichtet korrigiert werden können. Bei neurochirurgischen Tumorresektionen fiel bei Patienten mit Nachblutungen verlässlich eine verlängerte R-Zeit (entsprechend der CT) auf, während sie bei Patienten ohne Nachblutungen normal war.   

Bei hämatologischen Malignomen und auch nach einer Thrombozytentransfusion als Erfolgskontrolle kann die Thrombopenie bzw. die Thrombozytenfunktion durch die VET zumindest indirekt quantitativ geschätzt werden. Bei Thrombozytenzahlen unter 10 000/µl z.B. bei der idiopathischen thrombozytämischen Purpura ITP zeigen Veränderungen in der VET-Diagnostik am besten von allen diagnostischen Verfahren die Blutungsgefahr auf. Bei der unbehandelten, akuten promyeloischen Leukämie kann die bei diesem Krankheitsbild häufigere (Hyper-) Fibrinolyse direkt mit den VET nachgewiesen werden. Die Hypo- bzw. Afibrinogenämie z. B. bei der ALL, bei der monoklonalen Gammopathie oder anderen Myelomen hat sich in verschiedenen Studien als teilweise mit den VETs nachweisbar gezeigt, leider aber inkonstant. Die Hyperkoagulobilität bei myeloproliferierenden Tumoren wie dem multiplen Myelom oder der Polycythämia Vera kann mittels FibTEM (MCF/MA) nachgewiesen werden.

Um die Vielfalt und das weite Spektrum der MAC zu belegen, haben die Autoren in Tabellen je 23 Arbeiten aus den letzten 20-30 Jahren mit den dazugehörigen thrombelastometrischen Untersuchungsbefunden mit verminderter Fibrinolyse, Hyperfibrinolyse und thromboembolischen Ereignissen bei den verschiedensten soliden Tumoren (Tab. 1) als auch hämato-onkologischen Erkrankungen (Tab.2) aufgelistet. In den nachfolgenden Textabschnitten wird dann versucht, die Ergebnisse der VET-Diagnostik bei verschiedenen Tumoren und Malignomen zu beschreiben. 

Alles in allem ist dieser Artikel eine nicht wirklich gelungene Darstellung der Besonderheit "MAC" als eigene pathophysiologische Entität. Die nur unzureichend gegliederte Aufzählung nach Anwendungen bei den verschiedensten Tumorerkrankungen zur Diagnostik von sowohl Thrombosegefahr als auch Blutungsrisiko in Bezug auf die Parameter des jeweiligen Verfahrens ROTEM oder TEG erlaubt in den meisten Fällen nicht die Übernahme der Diagnostik als Verfahren in die eigene klinische Alltags-Praxis.  Wohl wird konstatiert, dass die VETs hinsichtlich der Aussagekraft Ihrer Parameter nicht austauschbar sind und die Anwendung in ein Algorithmus eingebettet werden sollten, aber eine klare Empfehlung kann aufgrund der relativen neuen Einsatzmöglichkeiten bei Tumorerkrankungen vor und während der Chemotherapie zum derzeitigen Zeitpunkt nicht gegeben werden.

Meine persönliche Einschätzung ist, dass der Leser durch den Artikel eine Anregung bekommen kann, die VET bei Tumorpatienten und klinischen Hinweisen auf eine Koagulopathie einzusetzen, wenn er dies vorher nicht erwogen hatte. Meine Erfahrung unter VET-Nutzern ist, dass die meisten das aber sowieso tun. Ob sich durch den Artikel andere für die Anschaffung und Erprobung der VET-Methoden genau für die Gerinnungstörungen bei Malignomen stimuliert fühlen, muss bezweifelt werden. Ebenso ist immer noch der Einsatz der VET zur verlässlichen Diagnostik der Hyperkoagulopathie und Thrombosegefahr aufgrund des Stimulationsprinzips der Tests nur bedingt geeignet. 

 

Pubmed

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Für Sie gelesen von Th. Frietsch 

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