Vorhersage-Scores bei Polytrauma - Red Flag und TASH

Cassignol E et al. Early packed red blood cell transfusion in major trauma patients: Evaluation and comparison of different prediction scores for massive transfusion. Vox Sang. 2021 Jun 22. doi: 10.1111/vox.13171.

Die Vorhersage einer Massivtransfusion ermöglicht die rechtzeitige Bereitstellung einer großen Anzahl kompatibler Blutprodukte und kann damit das Versterben der Polytraumen dramatisch (> 25%) verringern (MacKenzie EJ et al. A national evaluation of the effect of trauma- center care on mortality. N Engl J Med. 2006;354:366–78).

Aus der DGU-Datenbank und Bestätigungsstudien wissen wir, dass der TASH-Score (Trauma Associated Severe Hemorrhage) nach Aufnahme einen hohen Vorhersagewert für Massivtransfusionsbedarf hat. Das hat nun auch eine französische Autorengruppe bestätigt, aber noch durch einen prähospitalen Score ergänzt. Diesbezüglich waren einige nur ungenügend aussagekräftige Scores in Gebrauch - z.B. der Schock-Index (max. Herzfrequenz/min. Systolischer Blutdruck) oder der ABC-Score (Assessment of Blood Consumption (ABC)). Mit einem in Frankreich entwickelten RED FLAG-Score aus der französischen Traumadatenbank (Hamada SR et al. Development and validation of a pre-hospital “Red Flag” alert for activation of intra-hospital haemorrhage control response in blunt trauma. Crit Care. 2018;22:113. https://doi.org/10.1186/s13054- 018-2026-9) war ein vielversprechendes Instrument für die prähospitale Vorhersage geschaffen worden, die nun überprüft wurde.

Der RED FLAG-Score besteht aus den 5 Variablen:

  • Schock-Index (≥1)
  • MAP (mittlerer arterieller Blutdruck ≤70 mmHg)
  • kapillär gemessene Hämoglobinkonzentration unter 13g/dl
  • Intubationspflichtigkeit am Unfallort
  • Beckenfraktur

Jede Variable ergibt einen Punkt, ab 2 ist der Score positiv.

Verglichen werden sollten die Scores: RED FLAG, ABC, Schock-Index und TASH. Ziel der monozentrischen retrospektiven Kohorten-Studie war die Anzahl der Patienten, bei der die Transfusion innerhalb der ersten Stunde nach Krankenhausaufnahme gestartet werden konnte.

Innerhalb von 5 Jahren wurden mehr als 1800 Polytraumen erfasst, die mit einem Polytrauma (des Schweregrads ISS 15+/-14) in das Militärkrankenhaus/Unfallzentrum in Toulon eingeliefert wurden. Die ausgewerteten 1767 Patienten waren durchschnittlich 43 +/- 19 Jahre alt. Der größte Anteil waren Motorradunfälle (40%), Autounfälle (22,5%), Stürze (18,5%) und seltenere (Fußgängerunfälle 8%, Schuss- (5%) und Stichverletzungen (4%) und andere). Penetrierende und stumpfe Traumen waren im Verhältnis 8,5% zu 91,5%. Wenig mehr als ein Drittel wurde per Helikopter ins Krankenhaus gebracht. Die Zeitpanne vom Unfallereignis bis zur Krankenhausaufnahme wurde leider nicht erfasst.

Von allen aufgenommenen Patienten mussten n=151 in der ersten Stunde transfundiert werden. Die Krankenhausaufenthaltsdauer war 11 +/- 16 Tage und die Mortalität 7,3%.

Die Scores im Vergleich wurden wie folgt bewertet: Bei einer Schwelle von 2 und mehr war der RED FLAG-Score mit einer Sensitivität 87% und Spezifität 76% und einer positiven Vorhersagewahrscheinlichkeit PPV 25% bzw. einer negativen NPV 99% zuverlässiger als die prähospitalen Vergleichs-Scores. Das bedeutet das bei einem Score von 2 und mehr ein Viertel aller Patienten in der ersten Stunde transfundiert wurden. Für die Vergleiche Schockindex (1 und mehr) und ABC-Score (2 und mehr) war die Empfindlichkeit schlechter (62% und 44%), dafür die Spezifität höher (87% und 95%).

Der intrahospitale TASH-Score war bei einer Schwelle von 9 und mehr mit einer Sensitivität und Spezifität (87% und 86%) bzw. PPV und NPV von 37% und 99% zuverlässiger.

Die Ergebnisse weisen erstens auf die Notwendigkeit einer prospektiven Evaluation hin. Die restrospektive Erhebung von Scores lässt Lücken, da die spätere Massivtransfusionen oder die frühe Transfusion und dann ein nicht gesteigerter Produkteverbrauch unerfasst bleiben. Eine sorgfältig geplante und kontrollierte Studie sollte dieses wichtige Thema auch bei den vermutlich kürzeren prähospitalen Wegen in Deutschland klären.

Trotz der nicht erfassten Dauer der Prähospitalphase und des personell nicht regelhaft mit einem Arzt besetzten Notfallteams in Frankreich ist die Erfassung des voraussichtlichen Transfusionsbedarfs bereits am Unfallort meiner persönlichen Erfahrung nach auch in Deutschland lebensrettend. Aber wir brauchen eine zuverlässige Vorhersage und eine Überprüfung der Methodik, zumal jetzt auch Rettungsmittel in Deutschland unterwegs sind, die bereits Blutprodukte mitführen (siehe IAKH Newsletter 4/ 2019, Presseartikel Deutsche Rettungsflugwacht). Ob die DRF diese Scores aktuell verwendet, entzieht sich meiner gegenwärtigen Kenntnis, wäre aber wichtig.

Pubmed

 

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