Wann ist Erythropoetin für Krebspatienten empfohlen?

Bohlius J et al. Management of cancer-associated anemia with erythropoiesis-stimulating agents: ASCO/ASH clinical practice guideline update. Blood Adv. 2019 Apr 23;3(8):1197-1210. doi: 10.1182/bloodadvances.2018030387

Die Kommission der amerikanischen onkologischen und hämatologischen Fachgesellschaft stellte sich die Aufgabe, Evidenz-basierte Empfehlungen zu den folgenden klinisch orientierten Fragen zu finden:

1.) Sollten Erthropoese-stimulierende Präparate (ESA) zur Vermeidung von Bluttransfusionen bei einer chemotherapie-induzierten Anämie gegeben werden?

Empfehlung 1.1: Unter einer Hämoglobinkonzentration von 10g/dl und Versagen der Chemotherapie mit kurativem Ansatz können ESA gegeben werden, jedoch sind Transfusionen in Abhängigkeit von dem Ausprägungsgrad der Anämie eine gleichwertige Option.(Evidence quality: high; Strength of recommendation: strong).

Empfehlung 1.2: ESAs sollten aber nicht bei Chemotherapie mit kurativem Ansatz gegeben werden (und Aussicht auf Erfolg)(Evidence quality: intermediate; Strength of recommendation: strong).


2.) Sollte bei Tumoranämie, die nicht durch eine Therapiebedingte Myelosuppression hervorgerufen ist, mit ESA behandelt werden?

Empfehlung 2.1: ESAs sollten bei den meisten Patienten mit nicht-chemotherapie-induzierter Anämie vermieden werden (Evidence quality: low; Strength of recommendation: strong).

Empfehlung 2.2: ESAs können bei myelodysplastischen Syndromen und einem Serum-EPo-Spiegel < 500 IU/L eingesetzt werden (Evidence quality: intermediate; Strength of recommendation: moderate).


3.) Welche speziellen Tatsachen müssen bei Erwachsenen mit nicht-myeloischen hämatologischen Malignomen unter laufender knochenmarksuppressiver Therapie berücksichtigt werden?

Empfehlung 3: Bei Patienten mit Myelom, Non-Hodgkin Lymphom oder CLL (chronisch lymphatischer Leukämie sollte die hämatologische Reaktion auf die Therapie im Vordergrund stehen, bevor ESAs in Betracht gezogen werden. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn sich die Gefährdung durch thromboembolische Komplikationen durch den Einsatz der ESA noch erhöht. In allen Fällen sollte auch die Behandlungsoption Bluttransfusion erörtert werden (informaler Konsens; Evidence quality: low; Strength of recommendation: moderate).


4.) Welche Untersuchungen und Tests sollten zur Identifikation derjenigen Patienten, die vom ESA-Einsatz profitieren, durchgeführt werden?

Empfehlung 4: Vor dem Einsatz eines ESA sollten anderweitige Ursachen der Anämie als die chemotherapie- oder malignom-induzierte Genese durch Anamnese, körperliche Untersuchung und Labordiagnostik (Retikulozytenzahl, EPO-Spiegel, Fe, Ferritin, TSAT, Vit.B 12, Folsäure, Hämoglobinopathie, STH, Coombs-Test etc.) ausgeschlossen werden (informaler Konsens; Evidence quality: intermediate; Strength of recommendation: strong).


5.) Haben die verfügbaren ESA-Präparate Darbepoetin, Epoetin beta and alfa originator oder Epoetin alfa-Präparate hinsichtlich Sicherheit und Effektivität vergleichbare oder unterschiedliche Effekte bei blutarmen Erwachsenen mit hämatologischem Tumorleiden unter Chemotherapie?

Empfehlung 5: Der Experten-Ausschuss erachtet Epoetin beta and alfa, Darbepoetin sowie die verfügbaren Epoetin alfa Präparate als gleich sicher und effektiv (informaler Konsens; Evidence quality: intermediate; Strength of recommendation: moderate).

6.) Erhöhen ESA das Thromboembolie-Risiko?

Empfehlung 6: Ja, deshalb sollen die Risiken abgewogen werden und die Präparate entsprechend vorsichtig eingesetzt werden (Evidence quality: high; Strength of recommendation: strong).

7.) Was sind die Dosierungsempfehlungen und Modifikationen von ESAs beim Erwachsenen mit chemotherapie-assoziierter Anämie?

Empfehlung 7: Eine Tabelle (Table 2) nennt Dosierung und Modifikationen von Epoetin alfa und Darbepoetin (informal Konsens; Evidence quality: intermediate; Strength of recommendation: moderate).

8.) Was ist bei diesen Patienten der Ziel-Hb-Spiegel?

Empfehlung 8: Der Hb soll gerade soweit angehoben werden, dass Bluttransfusionen vermieden oder verringert werden, je nach Patient und Zustand (informaler Konsens; Evidence quality: intermediate; Strength of recommendation: moderate).

9.) Ist die Fortführung der ESA-Therapie bei Nichtansprechen eines Patienten (kein Hb-Anstieg oder keine Reduktion der Transfusionsbedürftigkeit) über die Dauer von 6-8 Wochen hinaus anzuraten?

Empfehlung 9: Nein, diese Patienten sollten nochmalig auf andere Ursachen der Anämie wie Eisenmangel etc, sowie Tumorprogress untersucht werden (informaler Konsens; Evidence quality: intermediate; Strength of recommendation: strong).

10.) Reduziert die Ko-Verabreichung von Eisen zur EPO-Therapie die Transfusionsbedürftigkeit?

Empfehlung 10: Eisensubstitution kann die Hb-Antwort verbessern und den Transfusionsbedarf senken, unabhängig vom Vorliegen eines Eisenmangels. Es ist angeraten die Therapie mit Ausgangs- und Folgekontrollen der Eisenspiegel, der Eisenbindungskapazität, der Transferrinsättigung und des Ferritin-Spiegels zu steuern (Type: evidence based; Evidence quality: intermediate; Strength of recommendation: weak).

Diese sehr konservativen Empfehlungen sind soweit akzeptabel und auf Deutschland und die hier verfügbaren ESA-Präparate übertragbar - bis auf die Punkte, bei denen die Bluttransfusion als gleichberechtigte Therapieoption auftaucht. Die Evidenz für einen immunsuppressiven Effekt der Bluttransfusion und die damit verbundenen Gefahren für die Tumorpatienten werden von den Autoren geringer gewichtet und beurteilt als die Gefahren durch die ESA.

Am Ende muss in Deutschland aber die deutsche Zulassung, die Beeinträchtigung der Lebensqualität des Patienten durch die Anämie als auch die individuelle Risikoeinstufung durch den behandelnden Arzt entscheiden. Die altbekannte und immer schon geübte Transfusionstherapie oder die unbekannte ESA-Präparation? Diese Risikoabwägung ist durch diesen Expertenkonsens nicht leichter geworden.

Nicht sehr hilfreich, dieser Expertenrat, wie ich meine.

 

Pubmed

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Für Sie gelesen von Th. Frietsch

 

 

 

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