Warum ist die Fähigkeit von Bluttransfusionen zur Erhöhung des Sauerstoffangebots begrenzt?

Zimmerman RA et al. A Mechanistic Analysis of Possible Blood Transfusion Failure to Increase Circulatory Oxygen Delivery in Anemic Patients. Ann Biomed Eng. 2019 Jan 18. doi: 10.1007/s10439-019-02200-9.

Es gibt reichlich Hinweise, vor allem bei Patienten mit hohem Sauerstoffbedarf, dass eine Bluttransfusion nicht das erreicht, wofür sie verabreicht wird- das Sauerstoffangebot zu erhöhen. Die Forschergruppe aus San Diego um Marcos Intaglietta hat nun in einem mathematischen Modell den Hämatokrit (damit also die Blutviskosität) und die kapilläre Blutflussgeschwindigkeit zum Sauerstoffdiffusion ins Gewebe in Beziehung gesetzt.

In einem mathematisch anspruchsvollen Modell konnte das Autorenteam darstellen, dass das Sauerstoffangebot bogenförmig in der Kapillare bis zu einem Hämatokrit von 23% steigt, um dann darüber wieder abzusinken. Der mangelnde Einfluss des hämoglobingebundenen Sauerstoffs bei einer Variation des Hämatokrits ist mit der Flussgeschwindigkeit des Blutes in der Mikrozirkulation in Bezug zur Sauerstoffdiffusion ins Gewebe erklärt.

Transfusion von bis zu 3 Einheiten erhöht das Sauerstoffangebot nur um maximal 17,5%, weil eben die Blutviskosität durch die erniedrigte Fließgeschwindigkeit, damit einer höheren Verweildauer in der Kapillare und dem damit verursachten Sauerstoffverlust an die Arteriolenwand einen größeren Stellenwert besitzt als ein höherer Sauerstoffgehalt. Insbesondere dieser viskositätsbedingte Sauerstoffverlust an die Arteriolenwand beträgt zwar durchschnittlich 20-30% des gesamten Sauerstoffangebots, nimmt aber um so stärker zu, je kleiner das Kapillargefäß wird.

Diese Ergebnisse befinden sich im Einklang mit experimentellen Sauerstoffangebotsmessungen im Tiermodell, der sogenannten in-vivo-Sauerstoffmessung in der Hamsterhautkammer. Dass die Blutviskosität eine wesentliche Rolle in der Mikrozirkulation spielt, hatte die Forschergruppe um Prof. M. Intaglietta schon wiederholt in ihren Arbeiten demonstriert.

Die klinisch-empirisch fehlende Wirksamkeit von Bluttransfusionen über einem Hämoglobinggehalt von 6-8g/dl- dem evidenzbasierten Transfusionstrigger- ist damit zum ersten Mal aus physiologisch Sicht schlüssig erklärt. Und nicht nur die fehlende Wirksamkeit, sondern sogar die schädliche Wirkung der  Übertransfusion (= einer liberalen Verabreichung über einem Hämoglobinwert von 6-7g/dl!) durch die Reduktion des kapillären Sauerstoffangebots zusätzlich zur Herzbelastung. 

Eine sehr lesenswerte Arbeit, auch wenn es sich "nur" um ein mathematisches Modell handelt, das natürlich Blutdruckschwankungen, Blutvolumenschwankungen und Herzauswurf unberücksichtigt lassen muss. Aber so passend , dass es zum ersten Mal einleuchtend eine Erklärung liefert, warum unser Denken der liberalen Transfusionsstrategie bisher falsch war und warum Übertransfusion so schädlich ist!

Pubmed

Für Sie gelesen von Th. Frietsch

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