Zertifiziertes Patient Blood Management in den USA

Gammon RR et al. How do we obtain and maintain patient blood management certification? Transfusion. 2022 May 26. doi: 10.1111/trf.16929.

Im Vergleich zu Deutschland (4 Mio), werden in den USA beinahe 3 mal so viele (11 Mio) Erythrozytenkonztentrate (EK) jährlich transfundiert, dort zum Preis für 2,3 Milliarden US$. Nicht alle Patienten können versorgt werden: Knapp der Hälfte aller Patienten, die Universalblut (Null neg) erhalten, könnte eine Konserve der Blutgruppe Null positiv oder blutgruppenidentisch verabreicht werden.

Der amerikanische nationale Ausschuss zur Qualitätssicherung, Bewertung und Zertifizierung (The Joint Comission - TJC) hat die Bluttransfusion als eine der häufigsten unnötigen Therapien eingeordnet. Auf diesem Boden der unterschiedlichsten Motivationen gewann das PBM-Konzept erhebliche Bedeutung für die amerikanischen Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen. Die seit 70 Jahren bestehende Joint Comission hat mit der amerikanischen Gesellschaft für Transfusionmedizin AABB seit 2005 Mess- und Bewertungsverfahren für das PBM-Konzept entwickelt. Die TJC und die AABB erarbeiteten und veröffentlichten in Zusammenarbeit die Standards für PBM, für autologe Transfusionsverfahren und Blutspende und Konserven-Herstellung.

Als freiwillige Zertifizierung kann sich jede amerikanische klinische Einrichtung seit 2017 nach einem 2-jährigen Etablierungsprozess von der TJC akkreditieren lassen. Beurteilt werden alle Elemente der klinischen Hämotherapie - von der Patientenaufnahme, über Konserven-Anforderung bis zur Dokumentation der erfolgten Transfusion. Das Ziel ist die Vermeidung von Verwurf und unnötigen Therapien, Reduktion der transfusionsassoziierten Kosten, Risiken und Nebenwirkungen, als auch die Verbesserung der Behandlungsergebnisse ("Patient Outcome").

Seither hat die TJC nur wenige der 21 000 betreuten Häuser PBM zertifiziert, was in erster Linie der Corona-Pandemie zugesprochen wird. Trotzdem hat das amerikanische Gesundheitssystem bereits über 2 Mio US$ an Blutprodukten und Therapietageskosten eingespart. Wegen dieses zögerlichen Entwicklungsprozesses hat dieser, aktuell in der Zeitschrift Transfusion veröffentlichte Ratgeberbeitrag die Aufgabe, der PBM-Implementierung und Umsetzung zu rascheren Verbreitung zu verhelfen.

Der lesenswerte Beitrag stellt dann im Hauptteil alle Schritte und Maßnahmen einer Top-Bottom-Implementierung vor, erklärt und erläutert sie einzeln:

  1. Suche nach PBM-Leadership in medizinischem und administrativem Führungsstab zur erfolgreichen interdisziplinären Zertifizierung
  2. Erzeugung eines Einverständisses, warum PBM sinnvoll ist und warum eine Zertifizierung dabei notwendig ist (Anmerkung TF: Ich interpretiere, übersetze und verstehe diesen Absatz "Why PBM and why obtain certification" für uns: Information der Transfusionskommission, Fortbildung, Vorstellung des Konzepts, wissenschaftliche Begründung, eventuell EInbezug externer Autoritäten)
  3. Planungsprozess- bzw. Lückenanalyse ("Gap analysis"): Eine tabellarische Darstellung der Implementierungsschritte, der noch zu schließenden Lücken und der zu erwartenden Schnittstellen der Disziplinen soll helfen, den Etablierungsprozess in seiner Tiefe und Breite zu definieren und zu begleiten. Dafür wird für jede Maßnahme eine 3-stufige Zustandsbeschreibung eingetragen (abgeschlossen, in Umsetzung, noch nicht begonnen), eventuell Bedarfsmaßnahmen eingetragen, welche Funktionen (z.B. Verwaltung) aktiv sein müssen, welche Person und ob eine geregelte Dokumentation stattfinden muss, damit diese Umsetzungshürden beseitigt werden
  4. Festsetzung des Zeit- und Budgetrahmens und der PBM-Zertifizierungsstufe. Drei Zertifizierungsgrade spiegeln die Komplexität der Etablierung von PBM, d.h. die komplexeren Vorgänge, die erheblich mehr Interdisziplinarität und mehr Strukturen erfordern als einfachere Maßnahmen, sind hauptsächlich auf Stufe 3 zu finden
  5. Festlegung und Entwicklung von Maßnahmen der Qualitätssicherung, Dokumentation und aller Erfordernisse entsprechend der Vorgaben zur Zertifizierung
  6. Definition und Festlegung von Performance-Indikatoren: PBM-Ziele nach dem SMART-Prinzip (spezifisch, messbar, erreichbar, relevant und rechtzeitig) sind in den USA von der AABB veröffentlicht und sollen auf die lokalen Strukturen angepasst festgelegt werden
  7. Jährliche Verwurfstatistik (bei uns sind abteilungsinterne publizierte Statistiken des TV oder QBH nicht unnötig, da die Meldungen an das PEI keine Information und Erinnerung an die Hämotherapeuten beinhalten. Trends wirken gewöhnlich motivierend)
  8. SOP/Standarderstellung für alle PBM-Prozesse: SOPs und Standardverfahren vermitteln die Ziele für die Behandlungsgrundsätze der meisten Patienten, Abweichungen im Individualfall sind gewünscht und notwendig. Anhand von Abweichungsanalysen wird die Durchdringung der Klinik deutlich und die Einhaltung im Standardfall besser gewährleistet
  9. Die Transfusionskomission (TK) soll das PBM Programm unterstützen, promoten und kontrollieren. (Diese Aufgabe ergibt sich in Deutschland aus der Rolle der TK gemäß Richtlinien Hämotherapie von selbst)
  10. Aufbau einer PBM-Kultur: Übernahme der Prinzipien in Fortbildungen, Posters, Bildschirmschoner, Schreibtischunterlagen, Schreibunterlagen etc.
  11. Lernen von externen PBM Erfahrungen, Herausforderungen und Benchmarking: zum Beispiel Einbezug der Geschäftführung, ärztliche und pflegerische Leitung, QM-Abteilung, Benennung von Verantwortlichkeiten, Erstellung und Verfolgung von Kennzahlen, schrittweise Einführung. Bei standortübergreifenden Trägerschaften sollten Programme und Konzepte verknüpft und die IT zu einer intensiven Kommunikation mit dem PBM Oberverantwortlichen verpflichtet werden
  12. PBM Fortbildung: Nicht nur als Vorlesungen/Präsentationen für Pflege und Ärzte, sondern auch als Einführungsprogramme und als Informationsmaterial wie Artikel und Bücher, Hands-On-Simulationen, auch als Einbezug in Entwicklungsgespräche und Zielvereinbarungen
  13. Prozessbegleitung durch Kennzahlen: zum Beispiel Blutprodukteverbrauch, Verwurf, Häufigkeit der Einzeltransfusion, Anteil an Transfundierten während des Aufenthalts, Kostenentwicklung durch Blutprodukte und Länge des Krankenhausaufenthalts, ...
  14. Zertifizierung: Der Zertifizierungsbesuch wird von je einem/r Vertreter/in von AABB und TJC abgehalten. Die Agenda enthält eine Eröffnungskonferenz, PBM-Programm/Konzeptvorstellung der Einrichtung, Datensichtung, Stichproben (5 Patienteninterviews, Personalinterviews - auch Geschäftsführer und Pflege, Krankenakten-Durchsicht, allgemeine und patientenbezogene klinikinterne PBM Leitlinien und PBM-Verfahrensanweisungen)
  15. Rezertifizierung: Die Erkenntnisse aus dem Zertifizierungsbesuch sollten aufgearbeitet und im Team besprochen werden. Ein Maßnahmenkatalog zur Verbesserung muss innerhalb von 60 Tagen an die Zertifizierungsagentur zurückgesendet werden. Dann erfolgt die Rezertifizierung mit einigem Abstand und dem Ziel, auf ein höheres Niveau zu kommen
  16. Erfolgsratschläge: In diesem Prozess sind folgende Maßnahmen von den Autoren als Ratschlag für eine erfolgreiche Zertifizierung verfasst:
    1. Es müssen für jeden Verbesserungsschritt oder jede Maßnahme auf jedem Niveau Personen benannt werden, die als Prozessmanager die vielen Verantwortlichen koordinieren, immer wieder erinnern und für den Fortschritt sorgen. Während der Zertifizierung können diese Personen auch die dokumentierten Verbesserungen demonstrieren
    2. Die Unterlagen für die Zertifizierenden sollen übersichtlich, vollständig und benutzerfreundlich sein
    3. Die Anlage und Führung eines Zustandberichts, indem die erreichten und zu erreichenden Ziele auf einer Zeitachse ersichtlich sind, ebenso die Dokumentation von Etablierungsschritten, auch auftauchende Hindernisse und Probleme, Fragen, neue Erkenntnisse etc. hat sich als positiv erwiesen
    4. Die einzelnen Schritte und Ziele sollten an die aktuell gültigen Empfehlungen ausgerichtet sein
    5. Die Prozesse, Erfolge wie Hindernisse sollen regelmäßig allen Beteiligten mitgeteilt werden

Dieser Artikel ist zwar sehr an die amerikanischen Bedingungen angelehnt. Aber auch hier können wir lernen, einige der Punkte können wir bei uns auch umsetzen. Vor allem wissen wir aber, dass die Top-Bottom Implementierung sehr viel besser funktioniert als von unten. Dafür gibt es auch in Führungsetagen zunehmend Befürworter des PBM.

Ob uns ein formales PBM-Zertifikat helfen würde, kann mit Recht bezweifelt werden. Aber das Peer Review Hämotherapie Verfahren gibt es bei uns schon und damit muss es nur noch angefordert werden.

Wer sich zuerst traut, hat einen Vorsprung ...

 

Pubmed

Für sie gelesen von Th. Frietsch

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