Offener Brief der IAKH zum Studium der Hämotherapie
Dienstag, 9. November 2016
Ein offener Brief an
Das Bundesministerium für Gesundheit BMG
Die Bundes Ärztekammer Berlin BÄK
Den Medizinischen Fakultätentag der Bundesrepublik Deutschland e.V. MFT
Die Gesellschaft für Medizinische Ausbildung e.V. GMA
Unterstützt vom Aktionsbündnis für Patientensicherheit
Über das Deutsche Ärzteblatt
Prof. Thomas Frietsch, Mannheim
Prof. Michael Spannagl, München
Dr. Gerhard Wittenberg, Ludwigshafen
Prof. Jochen Erhard, Dinslaken
Dr. Birgit Fleiter, Duisburg
Prof. Dr. Bernd Pötzsch, Bonn
Prof. Rainer, Moosdorf, Marburg
Mit Ausblick auf die kommende Reform der Lerninhalte, dem Masterplan Medizinstudium, sollte die praktische Hämotherapie, zumindest aber die im Folgenden genannten Aspekte in das Curriculum der Medizinerausbildung aufgenommen bzw. intensiviert werden. Der Lernzielkatalog enthält bisher keine Angaben oder Empfehlungen, wie und in welcher Form die Inhalte gezielt vermittelt werden sollen, um einen dauerhaften Erfolg beim Studierenden zu erzielen.
Konstruktive Vorschläge:
- Identitätssicherung vor Applikation von kritischen Medikamenten wie Blutprodukten, Chemotherapeutika und invasiven diagnostischen und operativen Maßnahmen mit den Besonderheiten der Anwendung bei bewusstlosen, narkotisierten, dementen und fremdsprachigen Patienten
- Intensiviertes theoretisches Wissen um die Übertragung von Blut und die Aspekte der Blutgruppen, Antikörper, Unverträglichkeitsreaktionen und Immunmodulation
- Praktische Seminare zur Vermittlung der Handhabung von Blut, Gerinnungs- und Blutprodukten, fachgerechte Lagerung inklusive der Erlernung der praktischen Applikation der besonderen medizinischen Produkte
- Individuelle Hämotherapie/ Patient Blood Management: Wissen um die evidenzbasierten Erkenntnisse der individuellen Indikationsstellung bei der Anwendung und der Übertragung von Blut und Blutprodukten, restriktive Indikationsstellung, autologe Techniken und pharmakologische Therapien
Erläuterung:
Im Nationalen Lernzielkatalog Medizin (NKLM)1 in seiner jüngsten Fassung vom 1.7.2015 sind nach Meinung des Vorstandes der Interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft für Klinische Hämotherapie zwar einige dieser obig genannten Inhalte als theoretisch zu vermittelnde Kompetenzen/ Lernziele aufgeführt, aber nicht dezidiert als obligate Bestandteile der Ausbildung erwähnt, quantifiziert und kompetent vermittelt.
Zu kritisieren ist erstens, dass, obwohl korrekter Weise als fächerübergreifende Inhalte ausgewiesen, die theoretischen Inhalte doch von kompetenten transfusionsmedizinischen Dozenten/ Hämotherapeuten gelehrt werden sollten. Diese finden sich aber lediglich in einem einzigen Punkt des Kataloges (16.1.1.7).
Die praktischen Anwendungsinhalte sollen laut Katalog meist von Anästhesisten vermittelt werden. Praxisrelevante Ausbildungsinhalte zur Vermittlung der Transfusionsmedizin (Punkt 3) aber sind selten im Katalog enthalten, Praktika nicht vorgesehen und aktuelle Themen wie Punkt 4 unserer Vorschlagsliste fehlen. Unter Kapitel 14b („Klinisch-praktische Fertigkeiten“, genauer 14b 3.1.2) sind Indikationsstellung sowie die Patientenidentifikation als fächerübergreifende Inhalte zwar aufgeführt, aber es fehlen ähnlich wie bei den theoretischen Kenntnissen die Hinweise auf den IMPP-Katalog als prüfungsrelevanten wichtigen Inhalt. Bei praktischen Tätigkeiten ist die Vorstellung, dass die Praxiskenntnisse und Anwendungsfertigkeiten hauptsächlich im praktischen Jahr (PJ) erworben werden sollen. Das ist deshalb unzutreffend, da es in den meisten PJ-Ausbildungen seltenst zu mehrfach angeleiteten Anwendungen von Blut- und Blutprodukten kommt. Zudem ist zu kritisieren, dass die späte Integration, erst im PJ, wie in Kapitel 16 („therapeutische Prinzipien“, genauer 16.5.1.57) ausgewiesen, den Stellenwert und die elementare Wichtigkeit dieser Fertigkeiten absolut nicht widerspiegelt.
Hintergrund:
Die Forderung nach explizierter Aufnahme der Inhalte hat folgenden Hintergrund:
In der ersten Auswertung des nationalen Fehlerregisters für die Anwendung von Blut, Gerinnungs- und Blutprodukten in Deutschland2 zeigten sich erschreckende Missstände hinsichtlich theoretischer und praktischer Kenntnisse von Ärzten jeder Berufserfahrung3. In einer bislang nicht veröffentlichten speziellen Auswertung zur Berufserfahrung bei den Anwendungfehlern von Blut und Blutprodukten sind 16% frisch am Arbeitsplatz, 36% jüngere Berufsanfänger und 48% Ärzte mit mehr als 3 Jahren Berufserfahrung.
Die für den medizinischen Standard relevanten Unkenntnisse sind unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Transfusionsmedizin/ Hämotherapie seit langen Jahren im Medizinstudium an Stellenwert verloren hat. Der von der IAKH geforderte intensivierte Wieder-Einbezug dieser Fachrichtung wird von den universitären transfusionsmedizinischen/ hämotherapeutischen Abteilungen großteils begrüßt. Einerseits müssen unserer Ansicht nach praktische Inhalte im Ausbildungscurriculum prüfungsrelevant vermittelt (Praktika, Klinikseminar) und auch geprüft (Simulationen, Patientenschauspieler) werden. Auf der anderen Seite müssen aktuelle wissenschaftliche Inhalte und Diskussionen wie die des sogenannten „Patient Blood Managements“, die sich von der bisherigen Lehrmeinung deutlich unterscheiden, auch in die Ausbildung integriert werden.
In den bisherigen Plänen zur Reform des humanmedizinischen Studiums sind vor allem die Forderungen lautgeworden, dass allgemeinmedizinische Lehrinhalte und Lehrstühle intensiviert werden sollen. Die Unterzeichnenden fordern darüber hinaus, dass auch transfusionsmedizinische/ hämotherapeutische Kompetenzen gestärkt und vermittelt werden müssen.
Gezeichnet
Stellvertretend für den Vorstand der Interdisziplinären Arbeitsgenmeinschaft für Klinische Hämotherapie
Prof. Dr. T. Frietsch, MBA
1. Vorsitzender
Literaturquellen:
- http://www.nklm.de/files/nklm_final_2015-07-03.pdf
- http://www.iakh.de/fehlerregister.html
- Frietsch T et al. Transfus Med Hemother. 2017 Aug;44(4):240-254