Begründung
Die IAKH wurde wiederholt angeschrieben und um eine Stellungnahme zur Aufklärungspflicht im Zusammenhang mit der Gabe von Humanalbumin gebeten. In der Tat ist die Aufklärung von Plasmaprodukten nicht diskussionfrei (siehe Antwort von Prof. Kretschmer im Forum 20052). In einem früheren Beitrag der "Hämotherapie"-Zeitschrift 2010 von H. Hasskarl und M. Teichmann3 wurde die Rechtsgrundlage auch für Plasmaprodukte (basierend nicht nur auf dem AMG und dem TG, sondern auch auf einer Vielzahl von deutschen und europäischen Richtlinien, darunter auch die Hämotherapie RiLi1) dargestellt. Zur Aufklärungspflicht von Erythrozytenkonzentraten hatte zuletzt M. Öhlschläger 20164 zwar betont, dass die Rechtsprechung eine Aufklärungspflicht auch dann sieht, wenn keine wissenschaftliche Beweise für eine Komplikation wie die Infektionsübertragung oder Malignomsentstehung durch Erythrozytenkonzentrate vorliegen. Die Verunsicherung der Patienten und Ärzte wird im begleitenden Editorial von B. Zwissler5 gut verständlich. Die Verunsicherung insgesamt und die bei der Anwendung von Humanalbumin und weiteren Plasmaderivaten ist durchaus greifbar, wird aber auch durch die Novelle der Richtlinie Hämotherapie 20176 nicht beseitigt.
Diese Sachlage erfordert eine Stellungnahme der Interdisziplinären Arbeitsgemeinschaft für klinische Hämotherapie.
Grundsätzlich hat der Arzt die Pflicht vor Anwendung oder nachträglich über die Infektionsgefahr von Blutprodukten (BGH Urteil vom 17.12.1991) und damit von Plasmaderivaten aufzuklären. Albumin zählt zu den Plasmaderivaten, die unter Aufreinigungs- und Virusinaktivierungsverfahren hergestellt werden. Das Paul-Ehrlich-Institut PEI hat die Verwendung von Plasma von Ländern mit BSE/vCJK untersagt bzw. die Herstellung unter weitreichende und bislang erfolgreiche Kontrolle gestellt. Bislang scheinen die Herstellungsvorschriften nicht unterlaufen zu werden. Die erfolgte Übertragung von virus- oder prionenartigen Erregern durch Humanalbumin wurde in Deutschland bislang nicht gemeldet (aktuelle Anfrage der IAKH beim PEI vom 11.10.2017: „...Die in der Europäischen Pharmacopoea vorgeschriebenen Virusabreicherungsschritte, die für jedes in Deutschland/ Europa zugelassene Humanalbumin gelten plus die anschließende (ebenfalls vorgeschriebene) Pasteurisierung der Präparate schließen eine virale Transmission nach menschlichem Ermessen aus. Es gibt bisher daher auch keinen Fall einer Virusübertragung durch Humanalbumin in unserer Datenbank.“
„...''Plasmaprodukte'' sind als Gruppe zu heterogen als dass man ihre Virussicherheit allgemein betrachten könnte. Jedoch sind alle Produkte durch die jeweiligen Virusabreicherungsschritte als weitgehend sicher einzuschätzen. Je nach Produkt und insbesondere bezogen auf die unterschiedlichen Virusklassen (umhüllte/ nicht-umhüllte Viren) können aber graduelle Unterschiede hinsichtlich der Effektivität der Virusabreicherungsschritte bestehen. Damit wäre die gesonderte Aufklärungspflicht eigentlich nicht gegeben, die ein eigenes Formular und das gleiche Vorgehen wie bei Blutkomponenten erfordert, weil Humanalbumin einem ''normalen'' Medikament vergleichbar wäre.“
Auf der anderen Seite ist Humanalbumin ein Arzneimittel, das nicht nur allergische Reaktionen und weitere im Beipackzettel/ der Arzneimittelinformation aufgeführte unerwünschte Reaktionen hervorrufen kann, sondern einem Herstellungsprozess unterliegt, der auch mal fehlerhaft sein kann. Die internationale Arzneimittelinformation von Albumin betont dennoch, dass eine eigene Information nicht notwendig sei7: „Guideline on the warning on transmissible agents in summary of product characteristics (SmPCs) and package leaflets for plasma-derived medicinal products:
There are no reports of virus infections with albumin manufactured to European Pharmacopoeia specifications by established processes. When albumin is used as excipient in medicinal products,there is no need to include any specific warning statement related to albumin. This is based on the good safety record of human albumin…”
Zuletzt wurden jedoch im Frühjahr 2017 auch einige mit Kühlmittel kontaminierte Humanalbuminchargen zurückgerufen (siehe Rote-Hand Brief und die Information im Internet8). Damit ist veranschaulicht, dass auch die Verunreinigung mit infektiösen Plasmaanteilen theoretisch denkbar ist.
Zur Einschätzung des Haftungsrisikos und damit der Aufklärungspflicht sind 2 Aspekte wichtig: Erstens die Möglichkeit und zweitens die Wahrscheinlichkeit.
- Die Möglichkeit (Plausibilität) der Übertragung von infektiösen Partikeln durch Plasmaprodukte ist aus der Art des Herstellungsprozesses aus menschlichen Plasma theoretisch gegeben, auch wenn das PEI von einem Ausschluss „nach menschlichem Ermessen“ und „weitreichend sicher“ spricht. In Analogie wird es für ratsam erachtet, auch die erhöhte Malignomrate als Folge der Bluttransfusion aufzuklären, die als tatsächliche Folge weder eindeutig nachgewiesen und noch in ihrem Mechanismus geklärt ist.
- Bezüglich der Wahrscheinlichkeit (Frequenz) hat der Gesetzgeber in der Vergangenheit die Seltenheit einer Komplikation von der Schwere der Konsequenzen abhängig gemacht. Kommt es nach einer medizinischen Therapie maßnahmenspezifisch mit einer noch so minimalen Wahrscheinlichkeit beispielsweise zu einer gravierenden Einschränkung mit erheblicher Bedeutung für den Patienten wie z.B. einer Querschnittslähmung nach neuraxialer Injektion, ist diese aufklärungswürdig (mehrfache Grundsatzurteile zu den Gefahren der Peridualanästhesie). Da die Infektion mit HIV oder vCJD ähnlich schwerwiegend und maßnahmenbezogen möglich, aber vergleichbar unwahrscheinlich ist, besteht wohl bezüglich der gerichtlichen Einschätzung der Folgen einer Humanalbumin-Anwendung eine berechtigte Vergleichbarkeit.
Die Empfehlung der IAKH zur Aufklärungspflicht lautet demnach:
- Eine gesonderte Aufklärung vor der Anwendung von Humanalbumin und weiteren Plasmaprodukten ist nicht ausdrücklich gefordert, ist aber wohl anhand der möglichen oder voraussichtlichen Rechtssprechung im Schadensfall dringend zu empfehlen. Die Form der Einwilligung ist laut Richtlinie Hämotherapie 2017 nicht vorgeschrieben, wenn vorher möglich empfiehlt, sich aber die schriftliche Dokumentation. Dafür sollte ein gesondertes Formblatt für Plasmaprodukte entworfen und benutzt werden, oder die bestehende Einverständiserklärung für die Transfusion von Erythrozytenkonzentraten erweitert werden.
- Die Dokumentation der Chargennummern und die Aufbewahrung der Krankenakte von 15 Jahren sind auf jeden Fall notwendig.
- http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/MuE/Richtlinie_Haemotherapie_2017.pdf) Kap. 4.3.2
- https://www.iakh.de/Forum/index.php?mode=viewthread&forum_id=3&thread=11
- Hasskarl H et Teichmann M. Aufklärungspflicht und Pflicht zur Einholung einer Einwilligung bei der Verabreichung von Blutzubereitungen. Haemotherapie 2010; 15: 42-47
- Öhlschläger M. Patientenaufklärung über die Risiken von Erythrozytenkonzentraten. Anästhesist 2016; 65 (3): 221-224
- Zwissler B. Aufklärung über die Risiken über die Transfusion mit Blut. Anaesthesist 2016 · 65:165–168
- Richtlinie Hämotherapie 2017: http://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/MuE/Richtlinie_Haemotherapie_2017.pdf
- http://www.pei.de/SharedDocs/bekanntmachungen/1999/banz-24-05-02-1999-s1532.html
- http://www.pei.de/DE/arzneimittelsicherheit-vigilanz/archiv-sicherheitsinformationen/2017/ablage2017/2017-04-27-ruecknahme-chargenfreigaben-albiomin.html
Prof. Dr. T. Frietsch, stellvertretend für den Vorstand der IAKH